Erlkönig

Vierte Fassung

D 328 Opus 1

Johann Wolfgang von Goethe 1749 - 1832

Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Olga Monakh - Klavier

Aufnahme: Samstag, 25. August 2012 | Berlin

Liedtext

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

«Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?» –
«Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron' und Schweif?» –
«Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.» –

"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand." –

«Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?» –
«Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind:
In dürren Blättern säuselt der Wind.» –

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."

«Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?» –
«Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau.» –

"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." –
«Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!» –

Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit [Mühe {Schubert: Müh'}] und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

Johann Wolfgang von Goethe
Ölgemälde 1834 von Johann Josef Schmeller
Wikimedia.org - Public domain

Zum Text

Über die Entstehung des Textes der Ballade kann man sich erschöpfend bei Wikipedia (in mehreren Sprachen) oder bei Google informieren. Goethe schrieb die Ballade 1782 im Alter von 33 Jahren als Einlage zu seinem Singspiel Die Fischerinn (S.1).
Ein Abdruck des Gedichtes in der Erstausgabe der Fischerinn von 1782 befindet sich in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und kann dort online studiert werden.

Zur Musik

Komponiert: Oktober 1815
Veröffentlichung (angezeigt): 2. April 1821
Originaltonart:  g - moll
Liedform: durchkomponiert
Aufnahmetonart:  f - moll
Schuberts Wohnort 1815

Das Verhältnis zwischen Schubert und Goethe war ambivalent. Während Schubert den 47 Jahre älteren Meister verehrte, hat Letzterer ihn kaum beachtet. Obwohl Goethe einige von Schuberts vertonten Gedichte durch eine Sendung Joseph von Spauns erhielt, gelang es dem Jüngeren nicht, mit seinen Kompositionen bis zu Goethe durchzudringen. Zu fremd waren den Ohren des alten Meisters der Klassik die neuen Klänge. 2.1
1830, zwei Jahre nach Schuberts Tod, soll Goethe den Erlkönig, gesungen von Wilhelmine Schröder-Devrient gehört haben. Ob ihm tatsächlich die Komposition, oder das junge Mädchen gefallen hat, bleibt dahingestellt. 2.2

Die Uraufführung des Erlkönigs durch Johann Michael Vogl (Bariton) und Anselm Hüttenbrenner (Klavier) fand am 7. März 1821 um 19:00 Uhr im k.u.k. Hoftheater am Käntnerthore (Heute Wiener Staatsoper) statt.

Schubert vertonte 62 Texte von Goethe, manche sogar mehrmals. Am Ende liegen uns heute fast 80 Kompositionen vor. Viele davon sind Lieder. Einige für mehrere Stimmen und Instrumente.

Die Entstehung der Komposition wird uns durch Joseph von Spaun (ein lebenslanger Freund Schuberts) anschaulich berichtet. Der vielzitierte Textabschnitt dazu stammt aus Spauns Aufzeichnungen über meinen Verkehr mit Franz Schubert (1858) die zusammen mit anderem biografischen Material von Ferdinand Luib gesammelt wurden:

"An einem Nachmittag des Jahres 1815 ging ich mit Mayrhofer zu Schubert, der damals bei seinem Vater auf dem Himmelpfortgrund war; wir fanden Schubert glühend, den Erlkönig aus dem Buche laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buche auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in der kürzesten Zeit stand die Ballade rein auf dem Papier. Wir liefen damit in das Konvikt, da bei Schubert kein Fortepiano (!) war, und dort wurde der Erlkönig noch an demselben Abend gesungen und mit Begeisterung aufgenommen. Der alte Organist Ruziczka setzte sich dann hin und spielte ihn selbst ohne Gesang in allen Teilen mit aller Teilnahme aufmerksam durch und war ganz gerührt über die Komposition. Als einige eine mehrmals wiederkehrende Dissonanz ausstellen wollten, erklärte Ruzicka, sie auf dem Klavier anschlagend, wie selbe hier notwendig dem Text entspreche, wie schön sie vielmehr sei, und wie glücklich sie sich löse." 2.3

Intuitiv, schnell und klar fängt Schubert die Situation und die Stimmung des Gedichtes von Goethe ein und bringt sie mit sparsamen Mitteln zu Papier. Es gab Kritik am Wahrheitsgehalt des Berichts von Spaun, aber selbst wenn der Bericht, der ja viele Jahre nach Schuberts Tod verfaßt wurde, nicht getreu die Entstehung des "Erlkönig" wiedergibt, so erscheint es, unter Berücksichtigung der Menge von ungefähr 145 Liedern und anderen Werken die Schubert 1815 schrieb (siehe unten) durchaus plausibel, daß ihm mit dem Erlkönig in dieser kurzen Zeit ein solches Geniestück gelang.
In entscheidenden Kleinigkeiten ist der Erlkönig von Schubert ohnehin noch verändert worden, sodaß uns heute vier Fassungen davon vorliegen.
Musik und Text werden in diesem Lied eine Einheit. Die außerordentlich schwierige Begleitung erzeugt mit ihren getriebenen, "reitenden" Triolen sofort das Bild jenes Reiters der, den Sohn auf dem Arm haltend, in wildem Galopp durch die Nacht jagt.
Die Dissonanz, die für die anwesenden Freunde so befremdlich war, findet sich am Schluß des Liedes, wenn der Sohn zum letzten Mal mit fiebrigen Worten den Vater anfleht: "Mein Vater, mein Vater jetzt faßt er mich an...". Bei den Worten "Vater" und "faßt" erklingt die ungewohnte None in der Singstimme, die sich so "glücklich löst".
In der Monatsschrift für Theater und Musik aus dem Jahr 1858 erscheint eine Kritik zum Erlkönig, in welcher der Autor Johann Vesque v. Püttlingen (selbst ein veritabler Liedkomponist) bemängelt, dass alle Welt in der Begleitung des Erlkönigs den reitenden Vater sieht. Auch einige Verbesserungsvorschläge zu Schuberts Komposition werden dort gemacht. 2.4

Schubert war 18 Jahre alt, als er den Erlkönig schrieb. 1815 entstanden unter anderem die Sinfonie in B-Dur (D.125), die Sonate in E-Dur (D.157), das Singspiel "Der vierjährige Posten" (D.190), die Sinfonie in D-Dur (D.200), das Singspiel "Fernando" (D.220), das Singspiel "Claudine von Villa Bella" (D.239), das Singspiel "Die Freunde von Salamanka" (D.326) und etwa 145 Lieder.

Schuberts schickte die zweite Fassung des Erlkönig (mit Achteln statt Triolen in der Begleitung) als erstes Liederheft für Goethe an den Dichter. Es enthielt folgende Kompositionen:

Jägers Abendlied D 368
Der König in Thule D 367
Meeres Stille D 216
Schäfers Klagelied D 121, erste Fassung
Die Spinnerin D 247
Heidenröslein D 257
Wonne der Wehmut D 260
Wandrers Nachtlied D 224
Erster Verlust D 226
Der Fischer D 225, zweite Fassung
An Mignon D 161, erste Fassung
Geistes Gruß D 142, zweite Fassung
Nähe des Geliebten D 162, zweite Fassung
Gretchen am Spinnrade D 118
Rastlose Liebe D 138, erste Fassung
Erlkönig D 328, zweite Fassung

Zweites Liederheft für Goethe siehe -> Link zu Nachtgesang D 119

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Ort des Manuskripts: The Morgan Library New York

Die Veröffentlichung besorgte 1821 Cappi & Diabelli in Wien als Opus 1 | Verlagsnummer 766

Das Autograph der zweiten Fassung mit Achteln statt Triolen in der rechten Hand im Klavier liegt in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin und kann dort online recherchiert werden. Die erste Seite dieser Fassung findet man auch auf Wikimedia.org.
Das Autograph der dritten Fassung befindet sich in The Piermont Morgan Library, New York. Es kann dort ebenfalls online recherchiert werden.

Interessantes über das Autograph der Komposition und deren Reise durch die Jahre kann man in Gartenlaube (Leipzig, Ernst Keil, 4°.) 1869, Nr. 33, S. 526: „Ein Autograph Schubert’s“ lesen.

Zur Veröffentlichung

Deckblatt 4.1
Deckblatt Wiener Zeitung 2. April 1821 4.2

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 03 № 178
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 01
Friedlaender Edition  Bd. 1 » 170
Bärenreiter Urtext Edition  Bd. 1 » 2

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