Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Boris Cepeda - Klavier
Aufnahme: Montag, 15. Dezember 2008 | Berlin
Liedtext
Ich auf der Erd', am Himmel du
Wir wandern Beide rüstig zu: –
Ich ernst und trüb, du mild und rein,
Was mag der Unterschied wol seyn?
Ich wandre fremd von Land zu Land,
So heimatlos, so unbekannt;
Bergauf, bergab, waldein, waldaus,
Doch [nirgend bin ich ach !{Schubert: "bin ich nirgend, ach!"}] zu Haus.
Du aber wanderst auf und ab
Aus [Westens Wieg' in Ostens{AGA: "Ostens Wieg' in Westens"}] Grab, –
Wallst Länder ein und Länder aus,
Und bist doch, wo du bist, zu Haus.
Der Himmel, endlos ausgespannt,
Ist dein geliebtes Heimatland:
O glücklich, wer wohin er geht,
Doch auf der Heimat Boden steht!
Lieder der Nacht 1826
Zum Text
Im Zusammenhang mit dem Namen Seidl muss der Name Ludlamshöhle fallen. Unter den Mitgliedern dieser "Unsinnsgesellschaft" finden sich, was nicht weiter verwundert, etliche Persönlichkeiten, die ebenfalls dem Freundeskreis angehörten, der sich um Franz Schubert bildete.1.1
Johann Gabriel Seidl trug den Ludlamsnamen – Zweipfiff, der Sizilianer
(wobei Zweippfiff sich auf die in Wien übliche Verwendung des Namens Seidel als Volumenmaß für Getränke bezieht, der Beiname Sizilianer wohl auf die von Seidl in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode ab 1823 veröffentlichten Sicilianen)
Das Gedicht Der Wanderer an den Mond von Johann Gabriel Seidl wurde veröffentlicht im Jahr 1826 in Lieder der Nacht. Elegien aus Alfons von Lamartine. Die Deutung. Von Johann Gabriel Seidl. Es findet sich auf Seite 24.
Zur Musik
Schubert und Seidl sind sich ab 1824 mehrfach begegnet. 1826 hatte Schubert einige Gedichte Seidls vertont, doch am 4. August 1828 schrieb er an den Dichter (der ihm offenbar weitere Gedichte zur Vertonung hatte zukommen lassen):
"Geehrtester H. Gabriel! Beiliegend sende ich Ihnen diese Gedichte zurück, an welchen ich durchaus nichts Dichterisches noch für Musik Brauchbares entdecken konnte."
Trotz alledem vertonte Schubert auch noch 1828 einige Gedichte Seidls und auch das letzte von ihm komponierte Lied Die Taubenpost D 965A stammt von diesem Dichter.
Insgesamt vertonte insgesamt 15 Gedichte von Seidl. 11 davon sind Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung:
Die Unterscheidung D 866
Bei dir allein D 866
Die Männer sind méchant D 866
Irdisches Glück D 866
Wiegenlied D 867
Der Wanderer an den Mond D 870
Das Zügenglöcklein D 871
Am Fenster D 878
Sehnsucht D 879
Im Freien D 880
Die Taubenpost D 965A
Die Herausgeber der alten Gesamtausgabe (AGA) entschieden, eine vermeintliche Fehlerstelle im zweiten Vers der dritten Strophe zu korrigieren, indem sie "aus Westens Wieg in Ostens Grab" zu "aus Ostens Wieg in Westens Grab" umkehrten.
Bei oberflächlicher Betrachtung der Mondbewegung - begrenzt auf einen nächtlichen Zyklus - erscheint der Mond tatsächlich im Osten, wandert über den Süden und geht im Westen unter. Doch in Seidls Gedicht geht es nicht um den nächtlichen Lauf des Mondes, sondern um seinen Lebensweg von der Geburt bis zum Tod. Kürzlich wies mich User Richard Egel wieder einmal auf diesen Sachverhalt hin, der mir selbstverständlich war und den ich bisher nicht erwähnt hatte. Daher folgt hier die Erklärung.
Während der Mond Nacht für Nacht von Osten über den Süden nach Westen wandert, nimmt er in Wirklichkeit von Westen nach Osten zu und wieder ab. Er wird quasi im Westen geboren (Westens Wieg) und stirbt im Osten (Ostens Grab). Schön erklärt auch nochmal auf dieser Seite. Das ist das ganze Geheimnis.
Wir haben bereits 2008 dieses Lied aufgenommen und damals auch die Variante mit der Ost-West-Verwechslung aus der AGA eingespielt:
Quellenlage
Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch
Ort des Manuskripts: Staatsbibliothek zu Berlin, preussischer Kulturbesitz
Die Veröffentlichung besorgte 1827 Tobias Haslinger in Wien als Opus 80 - 1 | Verlagsnummer 5028
Berliner Allgemeine musikalische Zeitung 5. Jhg. 1828, Ausgabe vom 14. Mai 3.1
Der Wanderer an den Mond. Das Ziegenglöcklein (sic!). Im Freien. Gedichte von Seidl. In Musik gesetz für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte. –
von Franz Schubert. Werk 80. Wien bei Haslinger.
Trefflich ist im ersten Lied die Sehnsucht des Wanderes nach seiner entfernten Heimath durch die Tonart G-moll, und die stete Bewegung des Fortschreitens durch auf und absteigende
Intervalle in Achteln ausgedrückt. Von ergreifender Wirkung ist der Eintritt des G-dur bei den Worten: „Du (der Mond) aber wanderst auf und ab.“
„Das Ziedenglöcklein(sic!)“ ist so durchaus schön komponirt, dass wir es wohl würdig hielten, das Produkt eines Beethovens zu sein.
Das Lied: „Im Freien“ gehört unter die Lieder des Herrn Schubert, von denen man mit Recht sagt: sie wären zu gut; da aber zu gut, nicht mehr gut ist; so können uns auch übertriebene Lieder, wie das hier angezeigte, nicht zufrieden stellen. Der Hauptfehler liegt in der dominirenden Begleitung des Pianoforte, die den Gesang zurük im Schatten drängt. Bei Gesangstücken wird dieses Verfahren stets getadelt; wie viel mehr aber ist es bei Liedern zu missbilligen, wo die Begleitung höchstens nur den Gesang unterstützend gebraucht werden darf.M. E.
Noten
Originalversion des Liedes
Quellen
5.1Noten-Quelle auf imslp.org o.ä.: Der Wanderer an den Mond
6.1Textquelle und alternative Kompositionen: www.lieder.net
Geschrieben von: Peter Schöne