Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Boris Cepeda - Klavier
Aufnahme: Dienstag, 15. Juli 2008 | Berlin
Liedtext
Ich komme vom Gebirge her,
Es dampft das Tal, es braust das Meer,
Ich wandle still, bin wenig froh,
Und immer fragt der Seufzer, wo?
Die Sonne dünkt mich hier so kalt,
Die Blüte welk, das Leben alt,
Und was sie reden, leerer Schall,
Ich bin ein Fremdling überall.
Wo bist du, mein geliebtes Land,
Gesucht, geahnt, und nie gekannt?
Das Land, das Land so hoffnungsgrün,
Das Land, wo meine Rosen blühn;
Wo meine Freunde wandelnd gehn,
Wo meine Toten auferstehn,
Das Land, das meine Sprache spricht,
O Land, wo bist du? ...
Ich wandle still, bin wenig froh,
Und immer fragt der Seufzer, wo?
Im Geisterhauch tönt's mir zurück,
"Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück."
Zum Text
Georg Philipp Schmidt von Lübecks Gedicht erlebte eine wechselvolle Enstehungs- und Veröffentlichungshistorie. Zuerst erschien es 1808 unter dem Titel Des Fremdlings Abendlied mit 5 Strophen im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen von W.G.Becker auf Seite 143.1.1
Der Text der ursprünglichen Version lautet:
Des Fremdlings Abendlied.
Mit Musik von Herrn Zelter.
Ich komme vom Gebirge her,
Es ruft das Thal, es rauscht das Meer;
Ich wandle still und wenig froh,
Und immer fragt der Seufzer: wo?
Die Sonne dünkt mich hier so kalt,
Die Blüte welk, das Leben alt,
Und was sie reden, tauber Schall;
Ich bin ein Fremdling überall.
Wo bist du, mein gelobtes Land,
Gesucht, geahnt und nie gekannt?
Das Land, das Land so hoffnungsgrün,
Das Land, wo meine Rosen blühn?
Wo meine Träume wandeln gehn,
Wo meine Todten auferstehn;
Das Land, das meine Sprache spricht,
Und alles hat, was mir gebricht?
Ich wandle still und wenig froh,
Und immer fragt der Seufzer: wo?
Es bringt die Luft den Hauch zurück:
"Da, wo du nicht bist, blüht das Glück!"
G.P.Schmidt.
Die Komposition von Carl Friedrich Zelter findet sich im Anhang. Zelter unterlegt nur die erste Strophe, aber verändert bereits einige Worte des Textes. Bei ihm heißt es:
Ich komme vom Gebirge her,
Es ruht das Thal, es rauscht das Meer,
Ich wandre still und wenig froh,
Und immer fragt der Seufzer: wo?
Vier Jahre später erschien am 16. Dezember 1812 eine weiteren Vertonung von Friedrich Kuhlau im Anhang der Allgemeinen musikalische Zeitung herausgegeben von Friedrich Rochlitz.1.2 Als Autor wurde dort fälschlicherweise Zacharias Werner genannt. Auch Kuhlau verändert das Gedicht in entscheidenden Phrasen:
Fremdlings Abendlied.
(In drei Tönen)
Ich komme vom Gebirge her,
Es dampft das Thal, es wogt das Meer;
Ich wandle still, bin wenig froh
Und immer fragt der Seufzer: wo?
Die Sonne dünkt mich hier so kalt,
Die Blüthe welk, das Leben alt,
Und was sie reden, leerer Schall,
Ich bin ein Fremdling überall.
Wo bist du mein gelobtes Land
Gehofft, geahnt doch nie gekannt!
Das Land, das Land so Hoffnungs grün,
Das Land wo meine Rosen blühn!
Wo meine Träume wandeln gehn,
Wo meine Todten auferstehn,
Das Land, das meine Sprache spricht
Und alles hat, was mir gebricht.
Ich wandle still, bin wenig froh
Und immer fragt der Seufzer: wo?
Im Geisterruf tönt's mir zurück:
Da wo du nicht bist ist das Glück.
Werner.
Es scheint mir fast, als ob dieses Gedicht schnell zu einer Art Volkslied der Romantik wurde, das die meisten Romantiker auswendig kannten, um es dann aus ihrer Erinnerung heraus, verändert durch persönliche Einfärbungen weiter zu verarbeiten.
1813 überarbeitete Schmidt von Lübeck sein Gedicht und ergänzte es um drei Strophen. In dieser endgültigen Fassung erschien es gemeinsam mit anderen Gedichten im dritten Band der Guirlanden S.117ff von Wilhelm Gottlieb Becker. Georg Philip Schmidt nannte die Sammlung der dort veröffentlichten Gedichte Lieder.1.3 Es hatte nun folgende Form:
Des Fremdlings Abendlied
Ich komme vom Gebirge her,
Die Dämmrung liegt auf Wald und Meer;
Ich schaue nach dem Abendstern,
Die Heimath ist so fern, so fern.
Es spannt die Nacht ihr blaues Zelt
Hoch über Gottes weite Welt,
Die Welt so voll, und ich allein,
Die Welt so groß und ich so klein.
Sie wohnen unten Haus bei Haus,
Und gehen friedlich ein und aus;
Doch ach, des Fremdlings Wanderstab
Geht landhinauf und landhinab.
Es scheint in manches liebe Thal
Der Morgen- und der Abend-Strahl,
Ich wandle still und wenig froh,
Und immer fragt der Seufzer: wo?
Die Sonne dünkt mich matt und kalt,
Die Blüthe welk, das Leben alt,
Und was sie reden, tauber Schall,
Ich bin ein Fremdling überall.
Wo bist du, mein gelobtes Land,
Gesucht, geahnt und nie gekannt?
Das Land, das Land so hoffnungsgrün,
Das Land, wo meine Rosen blüh'n?
Wo meine Träume wandeln gehn,
Wo meine Todten auferstehn,
Das Land, das meine Sprache spricht,
Und Alles hat, was mir gebricht?
Ich übersinne Zeit und Raum,
Ich frage leise Blum' und Baum;
Es bringt die Luft den Hauch zurück:
"Da, wo du nicht bist, ist das Glück!"
1815 erschien das Gedicht unter dem Titel Der Unglückliche in der 5-strophigen Fassung in Dichtungen für Kunstredner herausgegeben von Deinhardstein.1.4 Dort wurde es erneut Zacharias Werner zugeordnet.
Der Unglückliche.
Ich komme vom Gebirge her,
Es dampft das Thal, es rauscht das Meer;
Ich wandle still, bin wenig froh,
Und immer frägt der Seufzer - wo?
Die Sonne dünkt mich hier so kalt,
Die Blüthe welk, das Leben alt;
Und was sie reden, leerer Schall -
Ich bin ein Fremdling überall.
Wo bist du, mein geliebtes Land!
Gesucht, geahnt, und nie gekannt,
Das Land, das Land, so hoffnungsgrün,
Das Land, wo meine Rosen blüh'n;
Wo meine Freunde wandeln geh'n,
Wo meine Todten aufersteh'n,
Das Land, das meine Sprache spricht,
Und alles hat, was mir gebricht?
Ich wandle still, bin wenig froh,
Und immer frägt der Seufzer - wo? -
Im Geisterhauch tönt mir's zurück:
"Dort, wo du nicht bist, ist das Glück!"
Werner.
Die letzte Verszeile dieses Gedichts macht es unabhängig von der Version des Gedichts oder von der Vertonung Schuberts (die es bis heute unsterblich macht) zu einer Art Hymnus der Romantik und der gesamten romantischen Bewegung.
Zur Musik
Franz Schubert entnahm offenbar seine Textvorlage dem von Deinhardstein herausgegebenen Buch. Über die Reinschrift der zweiten Fassung schrieb er als Überschrift: Der Wanderer oder: Der Fremdling oder: Der Unglückliche. Offenbar kannte er auch die anderen Varianten desselben Gedichtes.
Der Abschnitt T.23-30 wurde von Schubert als Thema im Variationssatz "Adagio" der Fantasie in C für Klavier op.15 D 760, genannt "Wandererfantasie" verwendet.
Aufführung am 18. November 1821, 16 Uhr im Saale beim römischen Kaiser, auf der Freyung.
Quellenlage
Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch
Die Veröffentlichung besorgte 1821 Cappi und Diabelli in Wien als Opus 4 - 1 | Verlagsnummer 773
In der Alten Gesamtausgabe (1895) wurde die erste Fassung, in der Neuen Gesamtausgabe (1970) die zweite Fassung veröffentlicht.
Noten
Originalversion des Liedes
Quellen
1.1 Taschenbuch zum geselligen Vergnügen (1808) - Anhang zum Taschenbuch zum geselligen Vergnügen (1808)
1.2 Bayerische Staatsbibliothek, Münchener DigitalitalisierungsZentrum (MDZ), Digitale Bibliothek, Allgemeine musikalische Zeitung, Hrsg. Rochlitz, Friedrich, Leipzig / Winterthur, 1812, Sig. 4114434 4 Mus.th. 1800-14 4114434 4 Mus.th. 1800-14
1.3 University of Chicago, Library - Hathitrust, Digital Library, Guirlanden herausgegeben von W.G. Becker., Band 3, Leipzig, 1813.
1.4 British Library - Digitalisat Google Books, Dichtungen für Kunstredner, Johann Ludwig Franz Deinhardstein, Wien / Triest, 1815.
5.1Noten-Quelle auf imslp.org o.ä.: Der Wanderer
6.1Textquelle und alternative Kompositionen: www.lieder.net
Geschrieben von: Peter Schöne