Sehnsucht

Zweite Bearbeitung - Dritte Fassung

D 636 Opus 39

Friedrich von Schiller 1759 - 1805

Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Olga Monakh - Klavier

Aufnahme: Mittwoch, 07. August 2013 | Berlin

Liedtext

Ach, aus dieses Thales Gründen,
Die der kalte Nebel drückt,
Könnt' ich doch den Ausgang finden,
Ach, wie fühlt' ich mich beglückt!
Dort erblick' ich schöne Hügel,
Ewig jung und ewig grün!
Hätt' ich Schwingen, hätt' ich Flügel,
Nach den Hügeln [zög{Schubert Erstdruck: zög'}] ich hin.

[Harmonieen{Schubert Erstdruck: Harmonien}] hör' ich klingen,
Töne süßer [Himmelsruh{Schubert Erstdruck: Himmels Ruh'}],
Und die leichten Winde bringen
Mir der Düfte Balsam zu,
Gold'ne Früchte seh ich glühen,
Winkend zwischen [dunkelm{Schubert Erstdruck: dunkeln}] Laub,
Und die Blumen, die dort blühen,
Werden keines Winters Raub.

Ach wie schön muß [sich's{Schubert Erstdruck: sichs'}] ergehen
Dort im ew'gen Sonnenschein,
Und die Luft auf jenen Höhen
O wie labend muß sie seyn!
Doch mir wehrt des Stromes Toben,
Der ergrimmt dazwischen [braußt{Schubert Erstdruck: braust}],
Seine Wellen sind gehoben,
Daß die Seele mir [ergraußt{Schubert Erstdruck: ergraust}].

Einen Nachen [seh{Schubert Erstdruck: seh'}] ich schwanken,
Aber ach! der Fährmann fehlt.
Frisch hinein und ohne Wanken,
Seine Segel sind beseelt.
Du mußt glauben, du mußt wagen,
Denn die Götter [leihn{Schubert Erstdruck: leih'n}] kein Pfand,
Nur ein Wunder kann dich tragen
In das schöne Wunderland.

Friedrich von Schiller
Ölgemälde ca. 1794 Ludovike Simanowiz
Wikimedia.org - Public domain

Zum Text

In seinem Gedicht "Sehnsucht" wendet sich der Klassiker Friedrich Schiller von seiner Epoche ab und öffnet ein Tor zur Romantik. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Schubert von diesem Gedicht zu zwei Vertonungen inspiriert wurde, von denen die frühere noch weitaus klassischere Züge trägt, als die spätere. Schillers von der Weimarer Klassik beeinflusste Gedanken zur gesellschaftspolitischen Situation seiner Zeit finden in diesem Gedicht eine Entsprechung in der Natur.
Er schrieb sein Gedicht 1801. Es erschien 1804 in Gedichte von Friederich Schiller, Zweiter Theil, Leipzig, 1805, bey Siegfried Lebrecht Crusius. Es findet sich auf den Seiten 23ff. Man kann die Veröffentlichung als Digitalisat der Oxford University bei Google-Books nachlesen.

Zur Musik

Komponiert: 1821
Veröffentlichung (angezeigt): 8. Februar 1826
Originaltonart:  E - Dur
Liedform: durchkomponiert
Aufnahmetonart:  C - Dur
Schuberts Wohnort 1821

Schubert und Schiller sind sich nie begegnet, denn Schubert war erst 8 Jahre und 3 Monate alt, als Schiller starb. Dennoch prägten die Ideale Schillers auf vielfältige Weise Schuberts Entwicklung zu einem genialen Tonsetzer und inspirierten ihn immer wieder zu Vertonungen.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Schubert fast 40 Texte von Schiller in Musik fasste. Dazu zählen die ersten uns bekannten Vertonungen ebenso wie einige der letzten, die er schrieb.
Zählt man alle Fragmente und Entwürfe zusammen, die heute laut Deutschverzeichnis bekannt sind, so kommt man auf nicht weniger als 77 Werke, die uns vorliegen. Die meisten entstanden in der Jugend Schuberts. Allein 66 Kompositionen in der Zeit zwischen 1811 und 1817. In dieser Zeit war Schubert zwischen 14 und 20 Jahre alt. Darunter finden sich so herrliche Stücke wie Gruppe aus dem Tartarus, Der Taucher, Sehnsucht, Die Götter Griechenlands oder Der Pilgrim.

Schubert schrieb am  31. März 1824 einen Brief an Leopold Kupelwieser, der zu dieser Zeit eine Reise nach Italien unternahm. Vielleicht entspringt das folgende Zitat aus diesem Brief der frühen Begeisterung Schuberts und seines Freundeskreises für Schillers Ideen zu ästhetischen Erziehung des Menschen.

Eine Schönheit soll den Menschen durch das ganze Leben begeistern – wahr ist es – doch soll der Schimmer dieser Begeisterung alles andere erhellen. 2.1

Schubert vertonte den Text zweimal. Das erste Mal mit nur 16 Jahren im Jahr 1813 (D 52) und in der hier vorliegenden Version mit 24 Jahren im Jahr 1821. Wobei uns von letzterer sogar 3 Fassungen vorliegen.

Rezension aus der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung. Jahrg. 28 (1826). 2.1

"Hr. Sch. hat unter der beträchtlichen Anzahl seiner Gesänge beym Klavier mehre sehr gute und einige treffliche Stücke geliefert. Für das eigentliche Lied scheint er weniger geeignet zu seyn, als für durchcomponirte Stücke, vierstimmige, oder für Eine Stimme mit obligater, wohl auch bis zum Uebermaass voller Begleitung. So ist z. B. sein Göthe'scher Erlkönig zwar ein höchstüberladenes, und, auszuführen, ein gewaltiges Stück Arbeit: aber Geist und Leben überhaupt, so wie im Ausdruck eine gewisse geheime Teufeley, ist wirklich darin. Hier nun, in Schillers Sehnsucht, (gleichfalls durchcomponirt, mit obligater, gar nicht sparsamer Begleitung) hat er freylich sich mehr beschränkt, doch aber, unserm Urtheile nach, für Ausmalung mancher Einzelnheiten noch zu viel, und darüber für das, was beym Dichter durch das Ganze als Grundton der Empfindung feststeht, zu wenig gethan. Interessant ist das Stück dennoch, wenigstens in einigen Abschnitten: es kömmt aber der weit frühern Composition, gleichfalls in dieser Art, von Conr. Kreutzer, nicht bey. Sollte diese, vielleicht Kreutzers allerbeste aus diesem ganzen Fache, Hrn. Sch. nicht bekannt oder er der Meynung seyn, sie übertroffen zu haben? Wohl das Erste! Sein Werkchen wird darum doch, und mit Recht, gern gesungen, gern gehört werden. Es ist eigentlich für eine Bass oder Altstimme: aber ein tiefer Sopran kann es auch vortragen. Schwer ist es für Sänger und Spieler nicht."

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Ort des Manuskripts: Library of Congress

Die Veröffentlichung besorgte 1826 A. Pennauer in Wien als Opus 39 | Verlagsnummer 207

Ein Digitalisat des Autographs der ersten Fassung dieses Liedes ab Takt 56 findet man online bei der British Library.

Ein Digitalisat des Autographs der zweiten Fassung dieses Liedes findet man als Digitalisat online in der Library of Congress Washington D.C.

Die Erstveröffentlichung der hier aufgenommenen dritten Fassung besorgte A. Pennauer als op. 39.

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 06 № 357
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 02
Friedlaender Edition  Bd. 2 » 86

Originalversion des Liedes PDF Thumbnail Erstdruck PDF Thumbnail
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