Die Bürgschaft

D 246 Nachlass

Friedrich von Schiller 1970 - 1970

Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Boris Cepeda - Klavier

Aufnahme: Montag, 15. Dezember 2008 | Berlin

Liedtext

Zu Dionys, dem [Tirannen{Schubert Abschrift: Tyrannen}], schlich
[Möros{Schubert Abschrift: Möris}], den Dolch im Gewande;
Ihn schlugen die Häscher in Bande.
Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!
Entgegnet ihm finster der Wütherich.
"Die Stadt vom Tyrannen [befreien{Schubert Abschrift: befreyen}]!"
Das sollst du am Kreutze bereuen.

Ich bin, spricht jener, zu sterben bereit
Und bitte nicht um mein Leben,
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drey Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten [gefreit{Schubert Abschrift: gefreyt}],
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen.

Da lächelt der König mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
Drey Tage will ich dir schenken;
Doch, wisse! wenn sie verstrichen die Frist,
Eh du zurück mir gegeben bist,
So muß er statt deiner erblassen,
Doch dir ist die Strafe erlassen.

Und er kommt zum Freunde: "Der König gebeut,
Daß ich am Kreutz mit dem Leben
Bezahle das frevelnde Streben;
Doch will er mir gönnen drey Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten [gefreit{Schubert Abschrift: gefreyt}]:
So [bleib'{Schubert Abschrift: bleibe}] du dem König zum Pfande,
Bis ich komme, zu lösen die Bande."

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
Und liefert sich aus dem Tyrannen,
Der andere [ziehet{Schubert Abschrift: zieht}] von dannen.
Und, [ehe{Schubert Abschrift: eh'}] das dritte Morgenroth scheint,
Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
Eilt heim mit sorgender Seele,
Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,
Von den Bergen stürzen die [Quellen{Schubert Abschrift: Quellen herab}],
Und die Bäche, die Ströme schwellen.
Und er kommt an's Ufer mit wanderndem Stab,
Da reisset die Brücke der Strudel hinab,
Und donnernd sprengen die Wogen
Des Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand:
Wie weit er auch spähet und blicket
Und die Stimme, die rufende, [schicket{Schubert Abschrift: schickt}];
Da [stößet{Schubert Abschrift: stößt}] kein Nachen vom sichern Strand,
Der ihn setze an das gewünschte Land,
Kein Schiffer lenket die Fähre,
Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
Die Hände zum Zeus erhoben:
O hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
Die Sonne und wenn sie niedergeht,
Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
So muß der Freund mir erbleichen.

Doch wachsend erneut sich des Stromes [Wut{Schubert Abschrift: Toben}],
Und Welle auf Welle zerrinnet,
Und Stunde an Stunde entrinnet,
Da treibt die Angst ihn, da faßt er sich Muth
Und wirft sich hinein in die brausende [Flut{Schubert Abschrift: Fluth}]
Und theilt mit gewaltigen Armen
Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort,
Und danket dem rettenden Gotte,
Da stürzet die raubende Rotte
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
Und hemmet des Wanderers Eile
Mit drohend geschwungener Keule.

Was wollt ihr? ruft er, [für{Schubert Abschrift: vor}] Schrecken bleich,
Ich habe nichts, als mein Leben,
Das muß ich dem Könige geben!
Und entreißt die Keule dem [nächsten{Schubert Abschrift: Nächsten}] gleich:
Um des Freundes Willen [erbarmet{Schubert Abschrift: erbarmt}] euch!
Und drey, mit gewaltigen Streichen,
Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
Und von der unendlichen Mühe
Ermattet, sinken die Knie:
O hast du mich gnädig aus Räubershand,
Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
Und soll hier verschmachtend verderben,
Und der Freund mir, der [liebende{Schubert Abschrift: Liebende}], sterben!

Und, horch! da sprudelt es silberhell
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
Und stille hält er zu lauschen,
Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
Und freudig bückt er sich nieder
Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und mahlt auf den glänzenden Matten
Der Bäume gigantische Schatten,
Und zwey Wanderer sieht er die Straße ziehn,
Will eilenden Laufes vorüber fliehn,
Da hört er die Worte sie sagen:
Jetzt wird er ans Kreutz geschlagen.

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen,
Da schimmern in Abendroths Strahlen
Von [ferne{Schubert Abschrift: Ferne}] die Zinnen von Syrakus,
Und entgegen kommt ihm Philostratus,
Des Hauses redlicher [Hüter{Schubert Abschrift: Hüther}],
Der erkennet entsetzt den [Gebieter{Schubert Abschrift: Gebiether}]:

Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
So rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den muthigen Glauben
Der Hohn des [Tirannen{Schubert Abschrift: Tyrannen}] nicht rauben.

»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht
Ein Retter willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod [ihm{Schubert Abschrift: mit ihm}] vereinen.
Deß rühme der blutge [Tirann{Schubert Abschrift: Tyrann}] sich nicht,
Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweye
Und glaube an Liebe und Treue!

Und die Sonne geht unter, da steht er am [Tor{Schubert Abschrift: Thor}]
Und sieht das Kreutz schon [erhöhet{Schubert Abschrift: erhöh't}],
Das die Menge gaffend umstehet,
[An{Schubert Abschrift: Und an}] dem Seile schon zieht man den Freund empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
"Mich, Henker, ruft er, erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!"

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
In den Armen liegen sich [beide{Schubert Abschrift: beyde}],
Und weinen für Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Augen thränenleer,
Und zum Könige bringt man die Wundermähr,
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen.

Und [blicket{Schubert Abschrift: blickt}] sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen,
Und die Treue, [sie ist{Schubert Abschrift: ist}] doch kein leerer Wahn,
So [nehmet{Schubert Abschrift: nehmt}] auch mich zum Genossen an,
Ich sey, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte.

Friedrich von Schiller
Ölgemälde ca. 1794 Ludovike Simanowiz
Wikimedia.org - Public domain

Zum Text

Die diesem Gedicht zugrundeliegende Geschichte trägt den Titel Damon und Phintias. Sie wurde in der Literatur mehrfach aufgegriffen. Schiller kannte sie in der Version des Autors Hyginus Mythographus. 1.1 Dieser hatte die Geschichte mit veränderten Namen Moeros und Selinuntius in seinen Werk Genealogiae unter der Überschrift CCLVII. QVI INTER SE AMICITIA IVNCTISSIMI FVERVNT veröffentlicht.
Die vorliegende Bearbeitung dieses Stoffes durch Schiller wurde von ihm selbst veröffentlicht im Musen-Almanach für das Jahr 1799, Tübingen, in der J.G.Cottaischen Buchhandlung, Seiten 176-182. Ein Digitalisat dieser Ausgabe ist in der digitalen Sammlung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek vorhanden und kann online studiert werden.
 

Zur Musik

Komponiert: August 1815
Veröffentlichung (angezeigt): 26. Oktober 1830
Originaltonart:  g - moll
Liedform: Ballade
Aufnahmetonart:  f - moll
Schuberts Wohnort 1815

Schubert und Schiller sind sich nie begegnet, denn Schubert war erst 8 Jahre und 3 Monate alt, als Schiller starb. Dennoch prägten die Ideale Schillers auf vielfältige Weise Schuberts Entwicklung zu einem genialen Tonsetzer und inspirierten ihn immer wieder zu Vertonungen.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Schubert fast 40 Texte von Schiller in Musik fasste. Dazu zählen die ersten uns bekannten Vertonungen ebenso wie einige der letzten, die er schrieb.
Zählt man alle Fragmente und Entwürfe zusammen, die heute laut Deutschverzeichnis bekannt sind, so kommt man auf nicht weniger als 77 Werke, die uns vorliegen. Die meisten entstanden in der Jugend Schuberts. Allein 66 Kompositionen in der Zeit zwischen 1811 und 1817. In dieser Zeit war Schubert zwischen 14 und 20 Jahre alt. Darunter finden sich so herrliche Stücke wie Gruppe aus dem Tartarus, Der Taucher, Sehnsucht, Die Götter Griechenlands oder Der Pilgrim.

Schubert schrieb am  31. März 1824 einen Brief an Leopold Kupelwieser, der zu dieser Zeit eine Reise nach Italien unternahm. Vielleicht entspringt das folgende Zitat aus diesem Brief der frühen Begeisterung Schuberts und seines Freundeskreises für Schillers Ideen zu ästhetischen Erziehung des Menschen.

Eine Schönheit soll den Menschen durch das ganze Leben begeistern – wahr ist es – doch soll der Schimmer dieser Begeisterung alles andere erhellen. 2.1

Über weite Strecken handelt es sich bei dieser Komposition um eine dramatische Ballade. Für den G-Dur-Schlussteil verwendet Schubert einen fast schon weinselig wirkenden Wiener 3/4-Takt.
Schubert schrieb nicht nur die vorliegende Ballade, sondern auch ein gleichnamiges Singspiel Die Bürgschaft D 435. In Nr. 14 verwendet er sogar eine Passage aus dem Lied im Andante ab Takt 97.

Dieses Singspiel wurde am 7. März 1908 zum ersten Mal und seither bisher nur an wenigen Abenden aufgeführt, weil sie uns nur als Fragment vorliegt. Wer sich trotzdem dafür interessiert, kann auf Youtube den Mitschnitt einer Neudichtung dieser Oper von Paula Fünfeck, musikalisch bearbeitet und vervollständigt von Anna-Sophie Brüning ansehen.

Franz Schubert: Die Bürgschaft (Oper)

Von 1996-2006 gab es ein Vokalquartett mit dem Namen Four Hire, das in seinen Konzerten oft das dieser Oper entstammende Räuber-Quartett sang.
Hier ist es in einer Aufnahme mit Matthias Heubusch und Elmar Stollberger, Tenor, sowie Peter Schöne und Sebastian Myrus, Bass.

Räuberlied D 435-13

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Ort des Manuskripts: Österreichische Nationalbibliothek

Die Veröffentlichung besorgte 1830 A. Diabelli & Co. in Wien als Nachlass - 8 | Verlagsnummer 3705

Das Autograph gilt als verschollen, eine Abschrift liegt in der Österreichischen Nationalbibliothek und kann dort online recherchiert werden.

Die Erstveröffentlichung besorgte A.Diabelli & Co als Nachlass-Lieferung 8 am 26.10.1830.

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 03 № 109
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 08
Friedlaender Edition  Bd. 5 » 11
Bärenreiter Urtext Edition  Bd. 7 » 113

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