Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Christoph Schnackertz - Klavier
Aufnahme: Mittwoch, 15. Dezember 2021 | Saarbrücken
Liedtext
Drüben hinter'm Dorfe
Steht ein Leiermann,
Und mit starren Fingern
Dreht er was er kann.
Baarfuß auf dem Eise
{S}Schwankt{S Wankt} er hin und her;
Und sein kleiner Teller
Bleibt ihm immer leer.
Keiner mag ihn hören,
Keiner sieht ihn an;
Und die Hunde {S}brummen{S knurren}
Um den alten Mann.
Und er läßt es gehen
Alles, wie es will,
Dreht, und seine Leier
Steht ihm nimmer still.
Wunderlicher Alter,
Soll ich mit dir gehn?
Willst zu meinen Liedern
Deine Leier drehn?
Zum Text
Das Gedicht Der Leiermann von Wilhelm Müller wurde veröffentlicht im Jahr 1823 in Deutsche Blätter für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater. Herausgegeben von Karl Schall und Karl von Holtei. Breslau 1823, bei Graß, Barth und Comp. No. XLI. 13. März 1823. Es findet sich auf Seite 166.
Weitere Veröffentlichungen:
Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Herausgegeben von Wilhelm Müller. Zweites Bändchen. Deßau, 1824, Seite 107
Zur Musik
Franz Schubert, Wilhelm Müller und die "Winterreise" - eine schaurige Kombination. Es scheint, als hätten sie beschlossen, den einsamen Wanderer im Winter auf eine Reise mitzunehmen, und jeder, der ihnen begegnet, sollte in Depressionen versinken. Helle Seiten findet man nur selten. Es überwiegt die Melancholie.
Schubert vertonte zuerst nur die 12 Gedichte, die in Urania erschienen waren und setzte ein großes Fine hinter den abschließenden Taktstrich. Offenbar gelangten die Gedichte des zweiten Teils erst später in seine Hand, denn er vertonte diese ab Oktober 1827.
Am 7. Oktober 1829 erschien eine umfangreiche Rezension in der Allgemeinen musikalischen Zeitung Leipzig (in der auch bereits zu Lebzeiten Schuberts einige Rezensionen anderer Lieder erschienen waren), 31. Jhg.
Besonderheiten:
Historischer Hintergrund – Metternichs Überwachungsstaat
Nach dem Wiener Kongress (1815) und den Karlsbader Beschlüssen (1819) etablierte Fürst Metternich ein rigides System der Zensur und Überwachung. Intellektuelle Aktivitäten wurden streng kontrolliert; Zensurbehörden, Spitzelnetzwerke und Aufsichtspersonen waren allgegenwärtig. In Wien gab es zeitweise rund 2.000 intellektuelle Agenten, die den Kulturbetrieb überwachten. Wilhelm Müllers Texte – darunter auch jene der Winterreise – gerieten zunehmend ins Visier.
Der Leiermann verkörpert das endgültige Bild der Isolation und Entfremdung im Zyklus. Der alternde Leiermann, der unbeirrt draußen in der Kälte sitzt und seine melancholische Musik spielt, wird zur Metapher für den sozialen und politischen Außenseiter – denjenigen, der vom System abgestoßen, entmenschlicht und vergessen wurde. Er ist der letzte Überlebende einer Welt, die keinen Platz mehr für Andersdenkende, Zweifelnde oder Aufbegehrer hat.
Die abweisende und frostige Umgebung spiegelt die Kälte wider, mit der das autoritäre Regime jeden Widerstand und jede Abweichung bestraft. Die Leier, die immer wieder gleiche melancholische Melodie, symbolisiert die Endlosschleife von Ausgrenzung und Resignation – ein stummer Protest, der vom Rest der Gesellschaft ignoriert oder bewusst überhört wird.
Der Wanderer, der in den Leiermann hineinhört und schließlich „mitgeht“, steht für die völlige Selbstaufgabe oder die unausweichliche Verbindung mit dem Schicksal des Ausgestoßenen. Politisch interpretiert bedeutet dies, dass der Einzelne, einmal vom System verstoßen, keine Rückkehr mehr findet – er wird Teil der Randexistenz, die das System als unerwünscht ausgrenzt.
Quellenlage
Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch
Ort des Manuskripts: The Morgan Library New York
Die Veröffentlichung besorgte 1828 Tobias Haslinger in Wien als Opus 89 - 24 | Verlagsnummer 5124
Erschien posthum kurz nach Schuberts Tod.
Noten
Erstdruck


Quellen
5.1Noten-Quelle auf imslp.org o.ä.: Der Leiermann
6.1Textquelle und alternative Kompositionen: www.lieder.net
Geschrieben von: Peter Schöne





