14.03.1827 - Kritik aus der Berliner Allgemeinen musikalischen Zeitung

1) Greisen-Gesang aus den östlichen Rosen von F. Rückert und Dithyrambe von F. von Schiller, in Musik gesetzt für eine Baßstimme mit Begleitung des Pianoforte von Franz Schubert, Op. 60. Wien bei Cappi und Czerny.

2) Lied eines Schiffers an die Dioskuren von I. Meyerhofer; der Wanderer von A. W. Schlegel; aus Heliopolis von I. Meyerhofer, in Musik gesetzt für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte von Franz Schubert, Op. 65. Wien bei Cappi und Czerny.

Das Lied steht in der Reihe der poetisch musikalischen Produktionen zwischen Ballade und Arie. In der Ballade ist das poetische Element überwiegend: die Form ist lebendige Erzählung; ihr muß der Komponist von Schritt zu Schritt folgen und überdem auf das darin liegende Gefühl im Ganzen, so wie auf jedes einzelne Aufblitzen des Affekts in seiner Komposition reflektiren, damit es hierdurch mit verdoppelter Gewalt den Zuhörer treffe. In der Arie hingegen herrscht das musikalische Element vor – die Worte geben eigentlich nichts, als den ungefähren Sinn des musikalischen Ganzen. Daher darf sich in ihr der Musiker freier bewegen in melodischer und harmonischer Ausführung; er darf ein und denselben Gedanken zum öftern wiederhohlen, er darf Worte umstellen, einzelne hervorheben, wie es ihm dienlich scheint – kurz: er arbeitet selbständig wie der Instrumental-Komponist, hat aber vor diesem noch den Vortheil, daß er sicher ist, so verstanden zu werden, wie er es zu sein wünscht, während die Instrumental-Musik, wofern sie nicht Handlung oder Pantomine begleitet, fast einem jeden in einem andern Lichte erscheint, und von ihm seinem individuellen Gefühle gemäß gedeutet wird. 

In dem Liede ist weder das poetische noch das musikalische Element überwiegend; beide durchdringen sich wechselseitig, ohne daß eines dem andern diente. Daher fordern wir, dass uns im Lied ein melodisch und harmonisch selbständiges Ganzes gegeben werde, aber wir erlauben nicht die freie Behandlung des Textes, die der Arie zukommt, und verlangen eben so wenig das der Ballade eigenthümliche genaue Anschliessen an denselben; denn wie wäre sonst strophische Wiederkehr derselben Melodie möglich? Die Komposition soll das in dem Ganzen liegende Gefühl auffassen und darstellen, und diese Darstellung wird, so viel es möglich ist, zu jeder Textesstrophe passen. Diese Forderung nun führt uns zurück auf die Grundbedingung für den Text des Liedes: er muß der reine und feste Ausdruck Eines Gefühls sein – je weniger Worte, desto gelegener für die Komposition, denn desto mehr kann der Musiker für den Zuhörer thun, durch Ergänzung und Ausführung des Angedeuteten. Deshalb sind ja Göthe, Tieck und Uhland so sehr häufig und deshalb ist Schiller fast nie brauchbar für den Komponisten. 

Betrachten wir nun in den angedeuteten Beziehungen die vorliegenden Werke, so können wir zunächst Herrn Schubert in Beziehung auf die Wahl der Texte unsre Billigung nicht versagen, die Dithyrambe von Schiller ausgenommen; es liegt in ihr zwar nur Ein Gefühl, aber es ist gänzlich gebeugt unter die Herrschaft des Gedankens, und dieser scheint uns durchaus unmusikalisch. So ist es uns denn auch gar nicht befremdend, dass dieses Stück gerade das Schwächste, von Allen ist. In aufsteigender Linie folgt hierauf Nr. 3 der zweiten Sammlung „Aus Heliopolis“ von Mayerhofer. Es ist allegorisch und eben desshalb nicht sonderlich musikalisch; doch tritt das Gefühl, welches zum Grunde liegt, noch ziemlich deutlich hervor. Ganz vortrefflich sind die drei übrigen Lieder; es versteht sich, dass wir hier immer die Beziehung auf die Komposition vor Augen haben, denn hätten wir die vorliegenden Gedichte, als solche, nach ihrem reinem Werthe zu ordnen, so möchte das Resultat wohl ein ganz anderes sein. Sämmtliche hier bezeichneten Schubertschen Lieder zeichnen sich durch einen hohen Grad von Originalität aus, die nirgends erzwungen, also auch nicht als bloße Manier erscheint. Dabei versteht es Herr Schubert, sehr gut für den Bass zu komponiren; wir sind sogar der Meinung, dass auch die zweite Sammlung durchaus nicht für eine weibliche Stimme, sondern ganz eigentlich für hohen Bass berechnet sei. Nirgends wird das E überschritten. 

Das Greisenlied (H mol) giebt uns das schönste Bild eines herrlichen kräftigen Dichtergreises: er hat die bunten wechselnden Gestalten des Lebens an sich vorübergehen lassen und überschaut die Welt mit freiem heiterm Blicke; das frische Wirken nach aussen hin ist geendet, aber innerlich blüht ungeschwächt die alte Kraft. Auf die Auszeichnung einzelner schöner Momente können wir uns nicht einlassen, denn das ganze Lied ist vortrefflich. Die Dithyrambe, wenn auch das schwächste Lied in diesen Sammlungen, ist darum noch immer nicht schlecht, nicht einmal nur mittelmässig. Doch hat sie nicht das rechte innere Feuer; die bacchische Glut, der Schwung erscheint zuweilen gewaltsam, wie die Melodie überhaupt ungewöhnlich dem natürlichen Fortschritte widerstrebt. Wir zweifeln indess gar nicht, dass bei einem lebendigen und exakten Vortrage, der hier jedoch seine Schwierigkeiten hat, das Lied sehr gefallen wird. Des Schiffers Gesang an die Dioskuren ist durchaus schön; man kann unmöglich zugleich milder und kräftiger zum Herzen sprechen, als es hier geschieht. Der Text genügt ganz den obigen Foderungen: Das Gefühl ist einfach aber erschöpfend dargestellt, und dem entspricht die Musik vollkommen; beide sind Eins, so dass es unmöglich wäre, dieses ohne jenes zu denken. Das aber eben ist das Zeichen der höchsten Vollendung des Liedes. In diesem, so wie in dem folgenden ,,der Wanderer“ zeichnet uns Herr Schubert deutlich die ganze Scene. Beide sind Nachtstücke. Dort sehen wir den Schiffer einsam auf hoher düsterer See; hier haben wir eine duftige Landschaft im Mondenschein mit allen den wechselnden Schatten und Nebelgestalten. Höchst originell ist der Gang der Melodie am Schlusse des zuletzt erwähnten Liedes. Das letzte „aus Heliopolis“ von Mayerhofer (wahrscheinlich nicht die Wölfin *) von k. k. privil. Theater an d. Wien) enthält eine Stelle „von Menschen konnt' ich's nicht erfragen“, die plötzlich den ganzen Fluss des Gesanges unterbricht, und uns desshalb unpassend vorkommt. Deklamation darf im Liede nicht Hauptsache werden, weil sich so die Musik ihre Doppelherrschaft mit der Poesie vergiebt. Vorzüglich gelungen erscheint dieses Lied, wo es nach E–dur geht, und die herrliche volle Harmonie zu der klaren Melodie auf den letzten Seiten ist gar lieblich anzuhören. 

So glauben wir denn diese Lieder mit Recht auf das angelegentlichste empfehlen zu dürfen, und schliessen mit dem herzlichen Wunsche, von dem ausgezeichneten Herrn Verfasser der auch schon früher viel Schönes für den Gesang geliefert hat recht bald etwas Aehnliches mitgetheilt zu erhalten, Die Verlagshandlung hat für eine geschmackvolle Ausstattung gesorgt.