Am See

Friedländer-Version

D 124

Johann Baptist Mayrhofer 1787 - 1836

Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Olga Monakh - Klavier

Aufnahme: Mittwoch, 07. August 2013 | Berlin

Liedtext

Sitz' ich im Gras am glatten See,
Beschleicht die Seele [süßes{Schubert (Friedlaender): "banges"}] Weh,
[Wie Aeolsharfen klingt{Schubert (Friedlaender): "Mit Geisterarmen rührt"}]mich an
[Ein unnennbarer Zauberwahn{Schubert (Friedlaender): "Geheimnisvoller Zauberbann"}].

Das Schilfrohr neiget seufzend sich,
Die Uferblumen grüßen mich,
Der Vogel klagt, die Lüfte wehn,
Vor [Schmerzeslust{Schubert (Friedlaender): "Schmerzenslust"}] möcht' ich vergehn!

Wie mir das Leben kräftig quillt
Und sich in raschen Strömen spielt.
Wie's bald in trüben Massen gährt,
Und bald zum Spiegel sich verklärt.

Bewußtseyn meiner tiefsten Kraft,
Ein Wonnemeer in mir erschafft.
Ich stürze kühn in seine Fluth
Und ringe um das höchste Gut!

O Leben bist so himmlisch schön,
In deinen Tiefen, in deinen Höhn.
Dein freundlich Licht soll ich nicht sehn,
Den finstern Pfad des Orkus gehn?

Doch bist du mir das Höchste nicht:
Drum opfr' ich freudig dich der Pflicht.
Ein Strahlenbild schwebt mir voran,
Und mutig wag' ich's Leben dran!

Das Strahlenbild ist oft betränt,
Wenn es durch meinen Busen brennt,
Die Tränen weg vom Wangenrot,
Und dann in tausendfachen Tod.

Du warst so menschlich, warst so hold,
O großer deutscher Leopold!
Die Menschheit [füllte{Schubert (Alte Gesamtausgabe): "fühlte"}] dich so ganz
Und reichte dir den Opferkranz.

Und hehr geschmückt sprangst du hinab,
Für Menschen in das Wellengrab.
Vor dir erbleicht, o Fürstensohn,
Thermopylae und Marathon!

Das Schilfrohr neiget seufzend sich,
Die Uferblumen grüßen mich,
Der Vogel klagt, die Lüfte wehn,
Vor Schmerzeslust möcht' ich vergehn!

Johann Baptist Mayrhofer
Ergänzte Fotografie nach der Sepiazeichnung in Schwinds 'Schubertabend'
Österreichische Nationalbibliothek - Public domain

Zum Text

Der im Gedicht von Mayrhofer genannte Leopold war Maximilian Julius Leopold von Braunschweig-Wolfenbüttel, Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel, Neffe des preußischen Königs Friedrich II. Er ertrank bei der großen Oderflut 1785 im Alter von 32 Jahren. Einer Legende nach wollte er vom Hochwasser eingeschlossene Bürger retten. Diese Legende wurde offenbar widerlegt, aber in der Bevölkerung hielt sie sich trotzdem. Dies erklärt auch, warum sich Dichter wie Goethe und Herder und eben auch Mayrhofer dazu hinreißen ließen, dieses Mannes und der ihm zugeschriebenen Taten mit Gedichten zu gedenken. 1.1

Johann Mayrhofer veröffentlichte seine Gedichte 1824 bei der eher kleinen Verlagsbuchhandlung Friedrich Volke in Wien. Diese Veröffentlichung ist als Digitalisat in der Österreichischen Nationalbibliothek online studierbar. Das Gedicht findet sich auf Seite 6. 1.2

Die bei der Erstveröffentlichung von Max Kahlbeck hinzugefügte zweite Strophe lautet:

Wohl weiß ich, was das Schilfrohr sagt,
Und was das Lied des Vogels klagt,
Ach Luft und Flut und Feld und Hain
Sind all erfüllt von gleicher Pein!

Zu folgen wähnt ich dir, Natur,
Und geh auf eigner Leiden Spur,
Es kommt die Nacht mit leisem Schritt
Und nimmt uns Alle, Alle mit.

Zur Musik

Komponiert: 7. Dezember 1814
Veröffentlichung (angezeigt): 1885
Originaltonart:  g - moll
Liedform: Strophenlied
Aufnahmetonart:  e - moll
Schuberts Wohnort 1814

Mayrhofer war ein enger Freund Franz Schuberts und wohnte drei Jahre von 1819-1821 gemeinsam mit ihm in einer Wohngemeinschaft. Er schreibt am 23. Februar 1829 im Neuen Archiv für Geschichte, Staatenkunde, Literatur und Kunst in seinen Erinnerungen an Franz Schubert:

"Mein Verhältniß mit Franz Schubert wurde dadurch eingeleitet, daß ihm ein Jugendfreund das Gedicht „am See" – es ist das vierte in dem bei Volke 1824 erschienenen Bändchen – zur Komposition übergab. An des Freundes Hand betrat 1814 Schubert das Zimmer, welches wir 5 Jahre später gemeinsam bewohnen sollten. Es befindet sich in der Wipplingerstraße (heute Nr.2).
(...)
Dieses Grundgefühl, und die Liebe für Dichtung und Tonkunſt machten unser Verhältniß inniger; ich dichtete,er komponierte, was ich gedichtet, und wovon Vieles seinen Melodien Entstehung, Fortbildung und Verbreitung verdankt." 2.1

Dieser engen Beziehung verdanken wir 47 Gedichtvertonungen durch Schubert. Im thematischen Katalog von Otto Erich Deutsch wird diesem Lied der Beginn der Freundschaft zwischen Mayrhofer und Schubert zugeschrieben.

Schubert war 17 Jahre alt, als er dieses Lied schrieb.

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Ort des Manuskripts: Wienbibliothek im Rathaus der Stadt Wien

Die Veröffentlichung besorgte 1885 Max Friedlaender (C.F.Peters) in Leipzig

Im Manuskript liegen Skizzen zu einem kantatenähnlichen Lied vor, die bei der Veröffentlichung keine Berücksichtigung fanden. Diese Skizzen wurden mit Bleistift ausgestrichen. Es sind 57 Takte erhalten. Auf dem Anfang dieses Manuskripts ist auch ein Teil der Sehnsucht von Goethe D 123 notiert.

 

Zur Veröffentlichung

Deckblatt Friedlaender Edition 4.1

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 01 № 36
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 07
Friedlaender Edition  Bd. 7 » 42
Bärenreiter Urtext Edition  Bd. 6 » 10

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