Drang in die Ferne

D 770 Opus 71

Karl Gottfried von Leitner 1800 - 1890

Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Christoph Schnackertz - Klavier

Aufnahme: Mittwoch, 20. Juli 2011 | Erfurt

Liedtext

Vater, du glaubst es nicht,
Wie's mir zum Herzen spricht,
Wenn ich die Wolken seh',
Oder am Strome steh';

Wolkengold, Wellengrün
Ziehen so leicht dahin,
Weilen im Sonnenlicht,
Aber bey Blumen nicht;

Zögern und rasten nie,
Eilen, als wüssten sie,
Ferne und ungekannt,
Irgend ein schön'res Land.

Ach! von Gewölk und Fluth
Hat auch mein wildes Blut
Heimlich geerbt den Drang,
Stürmet die Welt entlang!

Vaterlands Felsenthal
Wird mir zu eng, zu schmal;
Denn meiner Sehnsucht Traum
Findet darin nicht Raum.

Lasst mich! ich muss, ich muss
Fordern den Scheidekuss.
Vater und Mutter mein,
Müsset nicht böse seyn:

Hab' euch ja herzlich lieb;
Aber ein wilder Trieb
Jagt mich waldein, waldaus,
Weit von dem Vaterhaus.

Sorgt nicht durch welches Land
Einsam mein Weg sich wand,
Monden- und Sternenschein
Leuchtet auch dort hinein.

Überall wölbt's Gefild'
Sich den azurnen Schild,
Den um die ganze Welt
Schirmend der Schöpfer hält.

Ach und wenn nimmermehr
Ich zu euch wiederkehr',
Lieben, so denkt, er fand
Glücklich das schönre Land.

Karl Gottfried von Leitner
Lithographie von Kriehuber
Österreichische Nationalbibliothek - Public domain

Zum Text

Das 1821 geschriebene Gedicht wurde 1825 bei Sollinger in Wien veröffentlicht. Es findet sich auf Seite 10ff. des von Leitner selbst herausgegeben Gedichtbandes. Ein Digitalisat der Printausgabe kann online studiert werden.

Da das geduckte Gedicht stark von dem von Schubert verwendeten Text abweicht, muss Schubert eine andere Quelle verwendet haben.

Hier das Gedicht in der Fassung von 1825:

Vater, du glaubst es nicht,
Wie mirs zum Herzen spricht,
Wenn ich die Wolken seh',
Oder am Strome steh';

Wolkengold, Wellengrün
Ziehen so leicht dahin,
Wandern von Ort zu Ort
Weit in die Ferne fort.

Weilen und rasten nie,
Eilen als wüßten sie,
Irgend ein schön'res Land,
Was noch kein Schiffer fand.

Ach! von Gewölk und Fluth
Hat auch mein junges Blut
Heimlich geerbt den Drang,
Stürmisch die Welt entlang!

Vaterlands Felsenthal
Wird mir zu eng', zu schmal,
Ahnung und Wunsch und Traum
Findet darin nicht Raum.

Laßt mich! ich muß, ich muß
Fordern den Scheidekuß.
Vater und Mutter mein!
Müsset nicht böse seyn.

Hab' euch ja herzlich lieb;
Aber ein wilder Trieb
Jagt mich waldein, waldaus,
Weit von dem Vaterhaus'.

Sorget nicht! Welch Gehäg
Einsam durchirrt mein Weg,;
Monden- und Sternenschein
Leuchtet auch dort hinein.

Über ein jed Gefild
Wölbt sich der blaue Schild,
Den um die ganze Welt
Schirmend der Vater hält.

Ach! und wenn nimmermehr
Ich zu euch wiederkehr',
Lieben! so denkt: er fand
Glücklich das schön're Land.

Zur Musik

Komponiert: 1823
Veröffentlichung (angezeigt): 25. März 1823
Originaltonart:  a - moll
Liedform: mehrteiliges Lied
Aufnahmetonart:  f - moll
Schuberts Wohnort 1823

Leitner und Schubert sind sich nie begegnet, wie Leitner selbst bezeugte.

Heinrich Kreissle von Hellborn schreibt in seinen biografischen Notizen zu Franz Schubert:

Auch der Dichter Gottfried Ritter von Leitner, der um das Jahr 1825 in die Familie eingeführt worden war, gehörte dem auserlesenen Kreise an, von welchem sich diese fortan umgeben sah, und jene von seinen Gedichten, welche Schubert in den Jahren 1827 und 1828 in Musik setzte, waren diesem von Frau Marie Pachler zur Composition empfohlen worden. 2.1

Allerdings schreibt Leitner selbst am 28. März 1858 an Ferdinand Luib:

Leider kann ich den in Ihrem verehrten Schreiben vom 17. d. M. ausgesprochenen Wünschen nicht in vollem Umfange entsprechen; denn mein Freund Dr. Faust Pachler hat sich in meinen Beziehungen zu Schubert geirrt, indem dieser während meiner zufälligen Abwesenheit von Graz hier auf Besuch war, und ich ihn überhaupt nie persönlich kennen lernte. 2.2

Und an Heinrich Schubert schreibt er am 24. Dezember 1881:

... Ich erlaube mir, in bezug auf mein Verhältnis zu Franz Schubert einen Irrtum zu berichtigen, der sich in einigen Biographien Ihres berühmten Verwandten eingeschlichen hat, und den Sie auch zu theilen scheinen. Ich habe nämlich leider nicht die Ehre genossen, ihn zu meinen persönlichen Bekannten zählen zu dürfen. Unsere küsntlerischen Beziehungen wurden immer nur durch andere vermittelt. ...
und weiter:
... aber Dr. Pachlers kunstsinnige Gemahlin, Marie Pachler, eine Virtuosin auf dem Pianoforte ... machte Schubert auf die im Sommer 1825 erschienene erste Auflage meiner Gedichte aufmerksam und verehrte ihm ein Exemplar dieses kleinen Bändchens. 2.3

Umso ungewöhnlicher, dass der Text, den Schubert unter die Singstimme von Drang in die Ferne schrieb so stark abweicht von der 1825 erschienenen Ausgabe.

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Die Veröffentlichung besorgte 1823 A. Diabelli & Co. in Wien als Opus 71 | Verlagsnummer 2486

Die Erstveröffentlichung geschah als Beilage zur Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode am 25.03.1823.

Zur Veröffentlichung

Deckblatt Opus 71 4.1
Deckblatt Wiener Zeitung 25. März 1823 4.2

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 07 № 424
Friedlaender Edition  Bd. 2 » 136

Originalversion des Liedes PDF Thumbnail Erstdruck PDF Thumbnail
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