Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Holger Berndsen - Klavier
Aufnahme: Samstag, 07. März 2015 | Würzburg
Liedtext
Mit leisen Harfentönen
Sey, Wehmuth, mir gegrüßt!
O Nymphe, die der Thränen
Geweihten Quell verschließt!
Mich weht an deiner Schwelle
Ein linder Schauer an,
Und deines Zwielichts Helle
Glimmt auf des Schicksals Bahn.
Du, so die Freude weinen,
Die Schwermuth lächeln heißt,
Kannst Wonn' und Schmerz vereinen,
Daß Harm in Lust verfleußt;
Du hellst bewölkte Lüfte
Mit Abendsonnenschein,
Hängst Lampen in die Grüfte
Und krönst den Leichenstein.
Du nahst, wenn schon die Klage
Den Busen sanfter dehnt,
Der Gram an Sarkophage
Die müden Schläfe lehnt;
Wenn die Geduld gelassen
Sich an die Hoffnung schmiegt,
Der Zähren Thau im nassen,
Schmerzlosen Blick versiegt.
Du, die auf Blumenleichen
Des Tiefsinns Wimper senkt,
Bey blätterlosen Sträuchen
Der Blüthenzeit gedenkt;
In Florens bunte Kronen
Ein dunkles Veilchen webt,
Und still, mit Alcyonen,
Um Schiffbruchstrümmer schwebt.
O du, die sich so gerne
Zurück zur Kindheit träumt,
Selbst ihr Gewölk von Ferne
Mit Sonnengold besäumt:
Was uns Erinn'rung schildert
Mit stillem Glanz verbrämt,
Der Trennung Qualen mildert,
Und die Verzweiflung zähmt.
Der Leidenschaften Horden,
Der Sorgen Rabenzug,
Entfliehn vor den Accorden,
Die deine Harfe schlug;
Du zauberst Alpensöhnen,
Verbannt auf Flanderns Moor,
Mit Sennenreigen-Tönen
Der Heimath Bilder vor.
In deinen Schattenhallen
Weihst du die Sänger ein;
Lehrst junge Nachtigallen
Die Trauer-Melodey'n;
Du neigst, wo Gräber grünen,
Dein Ohr zu Hölty's Ton;
Pflückst Moos von Burgruinen
Mit meinem Matthisson.
Rühr' unter Thränenweiden
Noch oft mein Saitenspiel;
Verschmilz' auch Gram und Leiden
In süßes Nachgefühl;
Gib Stärkung dem Erweichten!
Heb' aus dem Trauerflor,
Wenn Gottes Sterne leuchten,
Den Andachtsblick empor!
Zum Text
Johann Gaudenz von Salis-Seewis und Friedrich Matthisson verband eine lebenslange Freundschaft, die sich unter anderem durch die Widmung im vorliegenden Gedicht offenbart. Matthisson besorgte 1793 die Veröffentlichung der Gedichte von Salis-Seewis in Zürich. Bei Orell, Gessner, Füssli & Comp. auf den Seiten 14f. erscheint das Gedicht Die Wehmut. Ein Digitalisat der Veröffentlichung kann man als Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek online studieren. 1.1 & 2.2
In den Anmerkungen der Gedichtausgabe schreibt der Herausgeber:
Der Gram an Sarkofage.
Steinerne, meistens mit erhobnem Bildwerk verzierte Särge bei den Alten.
Und still, mit Alcyonen.
Alcyone, eine Tochter des Aolus, war so untröstbar über den Tod ihres Gemahls Ceyx, der im Meere ertrank, daß Thetis beide, aus Mitleid, in Alcyonen verwandelte. Dieser Ufervogel ist bei den Dichtern oft ein Bild stiller Trauer auf dem weiten Meere.
Verbannt auf Flanderns Moor.
Nirgends ist, nach alter Erfahrung, das Heimweh der Schweizer stärker, als auf den traurigen Moorflächen von Flandern.
Mit Sennenreigen-Tönen.
Die unter dem Namen des Kuhreigens (Rans-des-Vaches) berühmte Lieblingsmelodie der helvetischen Hirtenvölker
S. Rousseau, Diet, de Musique, Art. Musique.
Ergänzend dazu:
Zähren = Tränen
verbrämt = verschleiert (aus der Schneiderei - einen Zierrand setzen)
Zur Musik
Vom Gedicht Die Wehmut vertonte Schubert drei Strophen, wie man im Autograph sehen kann.
Schubert vertonte insgesamt 15 Texte von Salis-Seewis.
Zählt man alle Fassungen und Bearbeitungen der Texte zusammen kommt man auf fast 30 Kompositionen, die uns heute vorliegen.
In der Österreichischen Nationalbibliothek findet man in den meisten Fällen die Gedichtvorlagen aus Wien aus den Jahren 1814-1828, die Schubert vermutlich für seine Vertonungen verwendet hat.
Im vorliegenden Fall wird vielleicht die 172 Seiten starke Neueste Auflage der Gedichte von Johann Gaudenz von Salis-Seewis herausgegeben bei Bernhard Philipp Bauer Wien aus dem Jahr 1815 als Vorlage gedient haben. Das Gedicht Die Wehmut steht dort auf der Seite 120f. 2.1 Hinweise dafür finden sich im Autograph bei Schubert. Die Schreibweise und einige im Gegensatz zur Ausgabe von 1783 veränderte Worte entsprechen der Wiener Ausgabe.
Schubert war 19 Jahre alt, als er dieses Lied schrieb. In diesem Jahr schrieb er unter anderem auch die verschollene Prometheus-Kantate, die beiden Sinfonien Nr. 4 c-Moll (die Tragische) und Nr. 5 B-Dur sowie die Messe Nr. 4 C-Dur.
Quellenlage
Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch
Ort des Manuskripts: Wienbibliothek im Rathaus der Stadt Wien
Die Veröffentlichung besorgte 1885 Max Friedlaender (C.F.Peters) in Leipzig als Opus 1887 - 4
Max Friedlaender ließ in seiner Erstveröffentlichung entgegen der im Manuskirpt verzeichneten ersten drei Strophen, die erste und letzte des Gedichtes von Saalis-Seewis unterlegen.
Noten
Originalversion des Liedes
Quellen
1.1Seite „Johann Gaudenz von Salis-Seewis“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. Juni 2019, 19:26 UTC
1.2J. G. von Salis Gedichte, Zürich Verlag: Orell, Gessner, Füssli, 1793, S. 14
5.1Noten-Quelle auf imslp.org o.ä.: Die Herbstnacht / Die Wehmut
6.1Textquelle und alternative Kompositionen: www.lieder.net
Geschrieben von: Peter Schöne