Ballade

D 134 Opus 126

Joseph Kenner 1794 - 1868

Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Holger Berndsen - Klavier

Aufnahme: Freitag, 26. August 2016 | Würzburg

Liedtext

Ein Fräulein schaut vom hohen Thurm
Das weite Meer so bang;
Zum trauerschweren Zitherschlag
Hallt düster ihr Gesang;
"Mich halten Schloß und Riegel fest,
Mein Retter weilt so lang."

Sei wohl getrost, du edle Maid!
Schau hinterm Kreidenstein
Treibt in der Buchtung Dunkelheit
Ein Kriegesboot herein:
Der Aarenbusch, der Rosenschild,
Das ist der Retter dein!
Schon ruft des Hunen Horn zum Streit,
Hinab zum Muschelrain.

"Willkommen, schmucker Knabe, mir!
Bist du zu Stelle kummen?
Gar bald vom schwarzen Schilde dir
Hau' ich die gold'nen Blumen.
Die achtzehn Blumen, blutbethaut,
Les' deine königliche Braut
Auf aus dem Sand der Wogen,
Nur flink die Wehr gezogen!"

Zum Thurm aufschallt das Schwerdtgeklirr!
Wie harrt die Braut so bang!
Der Kampf dröhnt laut durch's Waldrevier,
So heftig und so lang!
Und endlich, endlich däucht es ihr,
Erstirbt der Hiebe Klang.

Es kracht das Schloß, die Thür klafft auf,
Die ihren sieht sie wieder,
Sie eilt im athemlosen Lauf
Zum Muschelplane nieder.
Da liegt der Peiniger zerschellt,
Doch weh! dicht neben nieder,
Ach! decken's blutbespritzte Feld
Des Retters blasse Glieder.

Still sammelt sie die Rosen auf
In ihren keuschen Schooß
Und bettet ihren Lieben drauf,
Ein Thränchen stiehlt sich los!
Und thaut die breiten Wunden an,
Und sagt: ich, ich hab' das gethan!

Da fraß es einem Schandgesell
Des Raubes im Gemüth,
Daß die, die seinen Herrn verdarb,
Frei nach der Heimath zieht.
Vom Busch, wo er verkrochen lag
In wilder Todeslust,
Pfeift schnell sein Bolzen durch die Luft,
In ihre keusche Brust.

Da ward ihr wohl im Brautgemach,
Im Kiesgrund, still und klein;
Sie senkten sie dem Lieben nach
Dort unter einem Stein,
Den ihr, von Diesteln überweht,
Noch nächst des Turmes Trümmern seht.

Joseph Kenner
Ausschnitt aus Schubert-Abend bei Spaun - Public domain

Zum Text

Joseph Kenner war kein Dichter. Er war k.k.Stadthaltereirat und 41 Jahre als Beamter tätig. Allerdings fühlte er sich zur Kultur hingezogen und verfasste einige wunderbare Gedichte, die zwar nicht als gesammelte Werke in die Geschichte eingingen, aber in der Vertonung durch Franz Schubert unsterblich geworden sind.

Das Gedicht Ballade schrieb er am 3. Juni 1814 im Alter von 19 Jahren. Kenner zeichnete auch einige Landschaftsbilder, die heute als wichtige Quellen für Stadtgeschichte dienen, beispielsweise von Linz.1.1

Zur Musik

Komponiert: 1815
Veröffentlichung (angezeigt): 5. Januar 1830
Originaltonart:  g - moll
Liedform: Ballade
Aufnahmetonart:  e - moll
Schuberts Wohnort 1815

Schubert und Kenner lernten sich im Konvikt kennen und wurden dort Freunde. 
Insgesamt vertonte Schubert drei Gedichte von Kenner, wobei Der Liedler zu den bekannteren und beliebteren Schubert-Liedern gehört, die auch heute noch auf Konzertprogrammen zu finden sind.

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Die Veröffentlichung besorgte 1830 Josef Czerny in Wien als Opus 126 | Verlagsnummer 2664

Die Erstausgabe besorgte Joseph Czerny in Wien VN 2664

 

Zur Veröffentlichung

Deckblatt Opus 126 4.1
Deckblatt Wiener Zeitung 5. Januar 1830 4.2

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 02 № 99
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 07
Friedlaender Edition  Bd. 4 » 152
Bärenreiter Urtext Edition  Bd. 6 » 35

Originalversion des Liedes PDF Thumbnail Erstdruck PDF Thumbnail
Zurück zu den Liedern