Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Holger Berndsen - Klavier

Aufnahme: Samstag, 05. September 2015 | München

Liedtext

Vor Thebens siebenfach gähnenden Thoren
Lag im furchtbaren Brüderstreit
Das Heer der Fürsten zum Schlagen bereit,
Im heiligen Eide zum Morde verschworen.
Und mit des Panzers blendendem Licht
Gerüstet, als gält' es die Welt zu bekriegen,
Träumen sie jauchzend von Kämpfen und Siegen,
Nur Amphiaraos, der Herrliche, nicht.

Denn er liest in dem ewigen Kreise der Sterne,
Wen die kommenden Stunden feindlich bedroh'n.
Des Sonnenlenkers gewaltiger Sohn
Sieht klar in der Zukunft nebelnde Ferne.
Er kennt des Schicksals verderblichen Bund,
Er weiß, wie die Würfel, die eisernen, fallen,
Er sieht die [Moira{Schubert: Möira}] mit blutigen Krallen,
Doch die Helden verschmähen den [heil'gen{Schubert: heiligen}] Mund.

Er sah des Mordes gewaltsame Thaten,
Er wußte, was ihm die [Parce{Schubert Autograph: Parze}] spann.
So ging er zum Kampf, ein verlorner Mann,
Von dem eig'nen Weibe schmählich verrathen.
Er war sich der himmlischen Flamme bewußt,
Die heiß die kräftige Seele durchglühte,
Der Stolze nannte sich Apolloide,
Es schlug ihm ein göttliches Herz in der Brust.

"Wie? – ich, zu dem die Götter geredet,
Den der [Weisheit{Schubert: Wahrheit}] heilige Düfte umweh'n,
Ich soll in gemeiner Schlacht vergeh'n,
Von [Periklimenos{Schubert Autograph: Periclimenos}] Hand getödtet?
Verderben will ich durch [eig'ne{Schubert: eigene} Macht,
Und staunend vernehm' es die kommende Stunde,
Aus künftiger Sänger geheiligtem Munde,
Wie ich kühn mich gestürzt in die ewige Nacht."

Und als der blutige Kampf begonnen,
Und die Ebne vom Mordgeschrey wiederhallt,
So ruft er verzweifelnd: "Es naht mit Gewalt,
Was mir die [untriegliche Parce{Schubert Autograph: untrügliche Parze}] gesponnen.
Doch wogt in der Brust mir ein göttliches Blut,
Drum will ich auch, werth des Erzeugers, verderben."
Und wandte die Rosse auf Leben und Sterben,
Und jagt zu des Stromes hochbrausender Fluth.

Wild schnauben die [Hengste{Schubert: Rosse}], laut rasselt der Wagen,
Das Stampfen der Hufe [zermalmt{Schubert: zermalmet}] die Bahn.
Und schneller und schneller noch ras't es heran,
Als gält' es, die [flücht'ge{Schubert: flüchtige}] Zeit zu erjagen.
Wie wenn er die Leuchte des Himmels geraubt,
Kommt er [im{Schubert (Alte Gesamtausgabe): in}] Wirbeln der Windsbraut geflogen;
Erschrocken heben die Götter der Wogen,
Aus schäumenden Fluthen das schilfige Haupt.

[Doch{Schubert: Und}] plötzlich, als wenn der Himmel erglühte,
Stürzt ein Blitz aus der heitern Luft,
Und die Erde zerreißt sich zur furchtbaren Kluft;
Da rief laut jauchzend der Apolloide:
Dank dir, Gewaltiger, fest steht mir der Bund,
Dein Blitz ist mir der Unsterblichkeit Siegel,
Ich folge dir, Zeus! - und er faßte die Zügel,
Und jagte die Rosse hinab in den Schlund.

Gedichte Band 1, 1815

Theodor Körner
Ölgemälde von Dora Stock
Wikimedia.org - Public domain

Zum Text

Theodor Körners Gedicht Amphiaraos erschien erstmals 1810 in seinem Gedichtband Knospen auf Seite 91ff.

Erläuterungen zum Text:

Amphiaraos - Seher des Zeus -> Wikipedia
Moira - eine der Moiren (griechische Schicksalsgöttinnen) - Synonym: Parzen -> Wikipedia
Periklimenos - Sohn des Poseidon -> Wikipedia
Apolloide - Apollon, Gott des Lichts -> Wikipedia

Zur Musik

Komponiert: 1. März 1815
Veröffentlichung (angezeigt): 1894
Originaltonart:  g - moll
Liedform: Solokantate
Aufnahmetonart:  f - moll
Schuberts Wohnort 1815

Schubert vertonte 15 Gedichte von Körner (einige mehrfach) sowie das Singspiel Der vierjährige Posten D 190. 

Vermutlich wurde Schubert unmittelbar durch einen der  1815 in Wien bei Bauer oder in der Haasschen Buchhandlung frisch erschienenen Gedichtband mit Gedichten Körners zu seinen Kompositionen inspiriert. Denn alle Lieder bis auf eine Ausnahme sind in der Zeit zwischen 27. Februar 1815 und 15. Oktober 1815 entstanden. 

Amphiaraos schrieb Schubert in fünf Stunden nieder, wie auf dem Manuskript vermerkt ist. -> Link zum Manuskript

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Ort des Manuskripts: Wienbibliothek im Rathaus der Stadt Wien

Die Veröffentlichung besorgte 1894 Eusebius Mandyczewski in Alte Gesamtausgabe (Breitkopf&Härtel) in Leipzig

Zur Veröffentlichung

Deckblatt Alte Gesamtausgabe 4.1

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 02 № 52
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 08

Originalversion des Liedes PDF Thumbnail
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