Adresse historique Zseliz, Ungarn
|
Hôte Graf Johann Karl Esterházy
Zusammenfassung
Schubert verbrachte die Sommer 1818 und 1824 auf Einladung des Grafen Johann Karl Esterházy in Zseliz. Dort unterrichtete er die Comtessen Marie und Caroline Esterházy als Musiklehrer. 8.1
Schuberts einzige Auslandsreisen führten ihn beide Male für etwa sechs Monate nach Zseliz. Während seines ersten Aufenthalts wohnte er im Inspectorat (dem sogenannten Eulenhaus), beim zweiten Mal im erweiterten Schlossbau.
Ausführungen
1818
Im Sommer 1818, trat Schubert seine erste Auslandsreise an. Auf Einladung von Graf János Károly (Johann-Karl) Esterházy de Galántha verbrachte er ca. sechs Monate auf Schloß Zseliz, damals Ungarn, um dessen Töchter zu unterrichten. Heute heißt der Ort Želiezovce und liegt in der Slowakei.
Mit dieser Reise entkam Schubert den Zwängen, die durch seine Rückkehr ins Elternhaus und den Schuldienst in der zweiten Hälfte des Jahres 1817 entstanden waren. In Zseliz hatte er viel Zeit und komponierte relativ wenig, insbesondere im Vergleich zu seinem produktiven Schaffensrausch in den Jahren 1815/1816. Dennoch scheint er selbst eine neue Frische gespürt zu haben, wie aus einem verloren gegangenen Brief aus Zelez(sic!) vom 3. August 1818 an seine Freunde hervorgeht:
Liebste, theuerste Freunde!
Wie könnte ich euch vergessen, euch, die ihr mir alles seyd! Spaun, Schober, Mayrhofer, Senn wie geht es Euch, lebt ihr wohl? Ich befinde mich recht wohl. Ich lebe und componire wie ein Gott, als wenn es so seyn müßte. Mayrhofer's „Einsamkeit" ist fertig, und wie ich glaube, so ist's mein Bestes, was ich gemacht habe, denn ich war ja obne Sorge. (…) 8.2
Weitere Details dieser Zeit offenbaren sich in seinen Briefen, wie etwa dem an Schober und die anderen Freunde vom 8. September:
Lieber Schober! Lieber Spaun! Lieber Mayrhofer! Lieber Senn! Lieber Streinsberg! Lieber Wayß! Lieber Weidlich!
Wie unendlich mich eure Briefe sammt u. sonders freuten, ist nicht auszusprechen!
Ich war eben bey einer Ochsen- u. Kuh-Licitation, als man mir euren wohlbeleibten Brief überreichte. Ich brach ihn, u. ein lautes Freudengeschrey erhob ich, als ich den Nahmen Schober erblickte. Unter immerwährendem Gelächter u. kindischer Freude las ich sie in einem benachbarten Zimmer. Es war mir, als hielt ich meine theuren Freunde selbst in Händen. Doch ich will euch in aller Ordnung antworten:
Lieber Schobert!
Ich sehe denn schon, es bleibt bey dieser Nahmens Verwandlung. Also, lieber Schobert Dein Brief war mir von Anfang bis zum Ende sehr lieb u. kostbar, besonders aber das letzte Blatt. Ja ja das letzte Blatt setzte mich in volles Entzücken, du bist ein göttlicher Kerl (versteht sich im schwedischen) u, glaub es mir, Freund, du wirst nicht unterliegen, denn dein Sinn für die Kunst ist der reinste, wahrste, den man sich denken kann.
Dß du diese Veränderung eine kleine nanntest, gefiel mir recht wohl, du standst ja schon lange mit einem Fuße in unserer Hölle. - Daß die Operisten in Wien jetzt so dumm sind, u. die schönsten Opern ohne meiner aufführen, versetzt mich in eine kleine Wuth. Denn in Zeléz muß ich mir selbst alles sein. Compositeur, Redacteur, Autiteur u. was weiß ich noch alles. Für das Wahre der Kunst fühlt hier keine Seele, höchstens dann u. wann (wenn ich nicht irre) die Gräfinn. Ich bin also allein mit meiner Geliebten, u. muß sie in mein Zimmer, in mein Klavier, in meine Brust verbergen. Obwohl mich dieses öfters traurig macht, so hebt es mich auf der andern Seite desto mehr empor.
Fürchtet euch also nicht, dß ich länger ausbleiben werde, als es die strengste Nothwendigkeit erfordert. Mehrere Lieder entstanden unter der Zeit, wie ich hoffe, sehr gelungene. (…) 8.3
Während des ersten Aufenthalts in Zseliz schrieb Schubert u.a. folgende Lieder:
Die Einsamkeit, D 620
Der Blumenbrief, D 622
Das Marienbild, D 623
Blondel zu Marien, D 626
Das Abendrot, D 627
Alle entstanden 1818.
1824
Im Sommer 1824 kehrte Schubert ein zweites und letztes Mal nach Zseliz zurück. Auch beim zweiten Aufenthalt entging Schubert offenbar mit der Reise nach Zseliz zumindest für ein paar Monate der Rückkehr ins Vaterhaus. Ab Oktober 1824 wohnte er danach jedenfalls im Schulhaus in der Roßau.
Der zweite Aufenthalt Schuberts in Zseliz erschien dem Komponisten wie eine erwachsen gewordene Kopie seines jugendlichen ersten Aufenthalts im Jahr 1818. Am :
Geliebtester Bruder!
Daß es mich wirklich etwas kränkte, daß ich sowohl von Haus als auch von Dir erst so spät ein Schreiben bekam, kannst Du mir aufs Wort glauben. (…) Damit Dich diese Zeilen nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sey nicht wohl, oder nicht heiteren Gemüthes, so beeile ich mich, Dich des Gegentheils zu versichern.
Freylich ists nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine Phantasie (Gott sey's gedankt) so viel als möglich zu verschönern suche. Man glaubt an dem Orte, wo man einst glücklicher war, hänge das Glück, indem es doch nur in uns selbst ist, u. so erfuhr ich zwar eine unangenehme Täuschung u. sah eine schon in Steyer gemachte Erfahrung hier erneut, doch bin ich jetzt mehr im Stande Glück u. Ruhe in mir selbst zu finden als damals. (…) 8.4
Doch obwohl er beim zweiten Mal sogar im Schloss wohnen und an der gräflichen Tafel speisen durfte und obwohl mit Carl Freiherr von Schönstein (der im August nach Zseliz kam und Schubert am 16. Oktober 1824 vorzeitig wieder mit nach Wien nahm, weil dieser glaubte, vergiftet worden zu sein) und der erwachsen gewordenen Caroline Esterhazy Ablenkung vorhanden war, sehnte sich Schubert nach Wien zurück zu den Freunden.
An Moritz von Schwind schreibt er im August 1824:
Lieber Swind!
Endlich ein Brief von Schubert, wirst Du sagen, nach 3 Monathen! (…) Ich bin noch immer Gottlob gesund u. würde mich hier recht wohl befinden, hätt' ich Dich, Schober u. Kupelwieser bey mir, so aber verspüre ich trotz des anziehenden bewußten Sternes manchmahl eine verfluchte Sehnsucht nach Wien. Mit Ende Septemb. hoffe ich Dich wieder zu sehn. (…) 8.5
An Franz von Schober ergehen am 21. September folgende Zeilen:
Lieber Schober!
Ich höre, Du bist nicht glücklich? mußt den Taumel Deiner Verzweiflung ausschlafen?
So schrieb mir Swind. (…) Ich möchte mit Göthe ausrufen: „Wer bringt nur eine Stunde jener holden Zeit zurück!" (Vgl. Erster Verlust D 226) (…) Nun sitz ich allein hier im tiefen Ungarlande in das ich mich leider zum zten Mahle locken ließ, ohne auch nur einen Menschen zu haben, mit dem ich ein gescheidtes Wort reden könnte. Ich habe seit der Zeit, daß Du weg bist, beynahe gar keine Lieder componirt, aber mich in einigen Instrumental-Sachen versucht. Was mit meinen Opern geschehen wird, weiß der Himel! (…) 8.6
Während seiner beiden Aufenthalte komponierte Schubert natürlich einige andere Werke, er "componire wie ein Gott", hatte er ja selbst geschrieben. Insgesamt blieb seine Produktivität weit hinter früheren Jahren zurück. Unter den wenigen komponierten Werken aus Zseliz finden sich die „Deutsche Trauermesse“ für seinen Bruder Ferdinand und zahlreiche Stücke für Klavier zu vier Händen, was sich aus seiner Tätigkeit als Klavierlehrer der Esterházy-Kinder erklärt.
Im Sommer 2024 reiste ich dorthin, um das leider immer noch stark verfallene, aber dafür kostengünstig zu besuchende Schloss sowie das sogenannte Eulenhaus, in dem Schubert während seines ersten Aufenthalts wohnte, zu besichtigen. Ich habe mich gefragt, was er in dieser ganzen Zeit sonst gemacht hat, abgesehen von den wenigen Unterrichtsstunden, die er hauptsächlich Marie und Caroline Esterházy erteilte. Pavel Polka, der Museumsleiter des Schubertmuseums in Želiezovce, erzählte mir, dass Schubert oft aus Langeweile oder Neugier zu Fuß in nahegelegene Dörfer gegangen sei. Dort sollen sich auch deutschsprachige Soldaten auf der Durchreise befunden haben, denn Schubert konnte kaum Ungarisch. Auf dem Land (was ich selbst erlebt habe) kommt man noch heute nicht einmal mit Englisch weiter. Vielleicht ist die Komposition der „Einsamkeit" nicht ohne Grund genau dort entstanden.
Es war sehr interessant, vor Ort den Spuren Schuberts zu folgen. Ich würde sogar behaupten (und ich war mittlerweile an fast allen Orten, die Schubert in seinem kurzen Leben besucht hat), dass man an keinem anderen Ort der Schubert-Zeit so nahe kommt wie im heutigen Želiezovce. Im Schlosspark hat sich wenig verändert, und sogar das Verfallene des Schlosses (das sicher bald renoviert sein wird: Reconstruction of the manor house) atmet den Geist des frühen 19. Jahrhunderts.
Das Schloss ist (Stand 2024) wie erwähnt stark verfallen, wird aber derzeit mithilfe norwegischer und liechtensteinischer Gelder restauriert. Das Dach ist bereits fertiggestellt, ebenso der Saal, in dem Schubert maßgeblich musizierte.