Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Olga Monakh - Klavier

Aufnahme: Mittwoch, 15. Mai 2013 | Berlin

Liedtext

[Gar{Schubert: "Ganz"}] verloren, ganz versunken
In dein Anschaun, Lieblinginn,
Wonnebebend, liebetrunken,
Schwingt zu dir der Geist sich hin.
Nichts vermag ich zu beginnen,
Nichts zu denken, dichten, sinnen.
Nichts ist, was das Herz mir füllt,
Huldinn, als dein holdes Bild.

Süsse, Reine, Makellose,
Edle, Theure, Treffliche,
Ungeschminkte rothe Rose,
Unversehrte Lilie,
Anmuthreiche Anemone,
Aller Schönen Preis und Krone,
Weißt du auch, Gebieterinn,
Wie ich ganz dein eigen bin?

Huldinn, dir hab'ich ergeben
Seel' und Leib und Herz und Sinn.
Ohne dich wär Tod das Leben,
Und mit dir der Tod Gewinn.
Süsser ist es, dir zu frohnen,
Als zu tragen goldne Kronen.
Edler, deinem Dienst sich weihn,
Als des Erdballs Herrscher seyn.
 
Wenn ich, Traute, dich erblicke,
Wird die Seele mir so klar.
Wenn ich dir die Hände drücke,
Zuckt's in mir so wunderbar.
Des Olympos hohe Zecher
Labt nicht so der Nektarbecher
Der Ambrosia Genuß,
Als mich labt dein keuscher Kuß.
 
Mich umbeben süsse Schauer,
Kraft und Athem mangelt mir,
Freude schüttelt mich und Trauer,
Bange Scheu und Gluthbegier,
Wann ich mich dem Heiligthume
Deines Kelches, edle Blume,
Zitternd nahe, Nelkenduft
Mich umweht und Ambraluft.

Könnt' ich, ach, dich nur umschmiegen
Einen langen Sommertag,
Dir am offnen Busen liegen,
Lauschend deines Herzens Schlag!
Könnt' ich, ach, dich nur umflechten
In den längsten Winternächten,
Eingewiegt in seidnen Traum,
Auf des Busens Schwanenflaum.
 
Könnt' ich, ach, mein ganzes Leben
Einzig dir, Ellwina, weihn!
Dürft'ich handeln, dulden, streben,
Für dich und mit dir allein!
Wahrlich, dann wär Daseyn Wonne!
Und wann meines Lebens Sonne
Unterging' in Finsterniß,
O, so wär auch Tod mir süß.
 
Sollte Dunkel Den umweben,
Dem Ellwinens Auge glänzt?
Sollt' ich vor der Urne beben,
Die Ellwina weinend kränzt?
Sollt' ich nicht, du kühle Kammer,
In dir schlummern sonder Jammer?
Horch! Ellwina, wehmuthvoll
Seufzt: mein Liebling, schlummre wohl!

Und wie bald ist nicht verschwunden
Jenes Schlummers kurze Nacht!
Horch, es jubelt: Ueberwunden!
Schau, der ewge Tag erwacht!
Dann du Theure, dann du Eine,
Bist du ganz und ewig Meine!
Trennung ist das Loos der Zeit!
Ewig einigt Ewigkeit!

Ludwig Gotthard Kosegarten
Stich von Johann Heinrich Lips
Österreichische Nationalbibliothek - Public domain

Zum Text

Der Pfarrer Ludwig Gotthard Kosegarten veröffentlichte 1798 sein Gedicht Huldigung in Band 2 seiner Poesieen(sic!) bei Heinrich Gräff, Leipzig. S. 188ff.

▪ Digitalisat auf books.google.com

1803 erschien es ebenfalls in Band 3 der Neuesten Auflage seiner Poesieen, Berlin S. 15ff. Schubert scheint auf diese Ausgabe zugegriffen zu haben, denn die Schreibweise im Autograph ist identisch.

▪ Digitalisat in der Österreichischen Nationalbibliothek

Zur Musik

Komponiert: 27. Juli 1815
Veröffentlichung (angezeigt): 1894
Originaltonart:  E - Dur
Liedform: Strophenlied
Aufnahmetonart:  C - Dur
Schuberts Wohnort 1815

Morten Solvik beschreibt in den Jahren 1997 und 1999 in einem online erschienenen Artikel die Möglichkeit, dass Schubert mit den 20 Liedern, die 1815 auf Gedichte von Kosegarten entstanden, einen ersten Liederzyklus schreiben wollte. Ähnlich wie acht Jahre später Die schöne Müllerin2.1

Zu diesem Zyklus gehören laut Morten Solvik die folgenden Lieder:

Huldigung D 240
Alles um Liebe D 241
3 Von Ida D 228
Die Erscheinung D 229 
Das Finden D 219 
6 Idens Nachtgesang D 227 
7 Die Sterne D 313 
Nachtgesang D 314 
Die Täuschung D 230 
10 Das Sehnen D 231 
11 Die Mondnacht D 238 
12 Abends unter der Linde D 237 
13 Das Abendrot D 236
14 Geist der Liebe D 233 
15 Der Abend D 221 
16 Idens Schwanenlied D 317 
17 Schwangesang D 318 
18 Luisens Antwort D 319 
19 An Rosa I D 315 
20 An Rosa II D 316

Schubert vertonte insgesamt 22 Texte von Kosegarten. Zählt man alle Fassungen dazu, liegen uns heute 24 Vertonungen vor. 14 Lieder entstanden zwischen 25. Juni und 27. Juli 1815. 7 Lieder an nur einem Tag: den 19. Oktober 1815. Nur An die untergehende Sonne wurde erst 1817 geschrieben.

Quellenlage

Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch

Ort des Manuskripts: Staatsbibliothek zu Berlin, preussischer Kulturbesitz

Die Veröffentlichung besorgte 1894 Eusebius Mandyczewski in Alte Gesamtausgabe (Breitkopf&Härtel) in Leipzig

Ein Autograph des Liedes liegt in der Staatsbibliothek zu Berlin - preussischer Kulturbesitz. Es kann online studiert werden.

Eine weitere Reinschrift des Liedes, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Thematischen Katalogs von O.E.Deutsch verschollen war, ist wieder aufgetaucht und kann als Digitalisat in der Österreichischen Nationalbibliothek online recherchiert werden.

Die Erstveröffentlichung geschah 1894 im Rahmen der AGA bei Breitkopf & Härtel Leipzig

Zur Veröffentlichung

Deckblatt Alte Gesamtausgabe 4.1

Noten

Alte Gesamtausgabe, Serie  XX, Bd. 02 № 103
Neue Schubert-Ausgabe  IV, Bd. 08
Bärenreiter Urtext Edition  Bd. 7 » 106

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