Interpreten: Peter Schöne - Bariton | Christoph Schnackertz - Klavier
Aufnahme: Mittwoch, 15. Dezember 2021 | Saarbrücken
Liedtext
Ein Licht tanzt freundlich vor mir her;
Ich folg' ihm nach die Kreuz und Quer;
Ich folg' ihm gern, und seh's ihm an,
Daß es verlockt den Wandersmann.
Ach, wer wie ich so elend ist,
Giebt gern sich hin der bunten List,
Die hinter Eis und Nacht und Graus
Ihm weist ein helles, warmes Haus,
Und eine liebe Seele drin -
Nur Täuschung ist für mich Gewinn!
Zum Text
Das Gedicht Täuschung von Wilhelm Müller wurde veröffentlicht im Jahr 1824 in Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten. Herausgegeben von Wilhelm Müller. Zweites Bändchen. Deßau. Es findet sich auf Seite 96.
Zur Musik
Franz Schubert, Wilhelm Müller und die "Winterreise" - eine schaurige Kombination. Es scheint, als hätten sie beschlossen, den einsamen Wanderer im Winter auf eine Reise mitzunehmen, und jeder, der ihnen begegnet, sollte in Depressionen versinken. Helle Seiten findet man nur selten. Es überwiegt die Melancholie.
Schubert vertonte zuerst nur die 12 Gedichte, die in Urania erschienen waren und setzte ein großes Fine hinter den abschließenden Taktstrich. Offenbar gelangten die Gedichte des zweiten Teils erst später in seine Hand, denn er vertonte diese ab Oktober 1827.
Am 7. Oktober 1829 erschien eine umfangreiche Rezension in der Allgemeinen musikalischen Zeitung Leipzig (in der auch bereits zu Lebzeiten Schuberts einige Rezensionen anderer Lieder erschienen waren), 31. Jhg.
Besonderheiten:
Melodie und Begleitung übernahm Schubert zum Teil aus seiner Oper Alfonso und Estrella. Am Beginn des zweiten Aktes singt Troila im “Wolkenmädchen”-Lied die Zeilen: “Er folgte ihrer Stimme Rufen / und stieg den rauhen Pfad hinan(sic!), / sie tanzte über Felsenstufen / durch dunkle Schlünde leicht ihm vor”

Auf Youtube findet sich eine Komplett-Aufnahme der Oper. Der Ausschnitt der Arie ist unter diesem Link abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=WMgKjAz3hDk&t=3633s
Historischer Hintergrund – Metternichs Überwachungsstaat
Nach dem Wiener Kongress (1815) und den Karlsbader Beschlüssen (1819) etablierte Fürst Metternich ein rigides System der Zensur und Überwachung. Intellektuelle Aktivitäten wurden streng kontrolliert; Zensurbehörden, Spitzelnetzwerke und Aufsichtspersonen waren allgegenwärtig. In Wien gab es zeitweise rund 2.000 intellektuelle Agenten, die den Kulturbetrieb überwachten. Wilhelm Müllers Texte – darunter auch jene der Winterreise – gerieten zunehmend ins Visier.
Das Gedicht beschreibt einen Zustand bewusster Selbsttäuschung – ein psychologischer Überlebensmechanismus in einem Klima politischer Hoffnungslosigkeit. Das Subjekt klammert sich an ein Bild von Wärme und Heimat, obwohl es längst erkannt hat, dass es sich um eine Fata Morgana handelt. Dieses paradoxe Festhalten an der Illusion lässt sich als Kommentar auf die Lage des politischen Individuums verstehen: Eingeschlossen in einem System der Kontrolle, bleibt ihm nur die freiwillige Täuschung – nicht, weil es die Wahrheit nicht erkennt, sondern weil sie unerträglich wäre.
Quellenlage
Informationen zur Quellenlage (Manuskripte etc.) finden Sie hier: Thematisches Verzeichnis von Otto Erich Deutsch
Ort des Manuskripts: The Morgan Library New York
Die Veröffentlichung besorgte 1828 Tobias Haslinger in Wien als Opus 89 - 19 | Verlagsnummer 5119
Erschien posthum kurz nach Schuberts Tod.
Noten
Originalversion des Liedes


Quellen
5.1Noten-Quelle auf imslp.org o.ä.: Täuschung
6.1Textquelle und alternative Kompositionen: www.lieder.net
Geschrieben von: Peter Schöne





