Liedtext
heutige Schreibweise
Das also, das ist der enge Schrein,
Da [lag ich in Windeln als Kind darein?]1
Da lag ich [gebrechlich, hülflos]2 und stumm,
Und zog nur zum Weinen die Lippen krumm.
Ich konnte nichts fassen mit Händchen zart,
Und war doch gebunden nach Schelmenart;
Ich hatte Füßchen, und lag doch wie lahm,
Bis Mutter an ihre Brust mich nahm.
Dann lachte ich saugend zu ihr empor,
Sie sang mir von Rosen und Engeln vor.
Sie sang und sie wiegte mich singend in Ruh',
Und küßte mir liebend die Augen zu.
Sie spannte aus Seide gar dämmerig-grün,
Ein kühliges Zelt hoch über mich hin;
[Wann find ich nun]3 wieder solch friedlich Gemach?
Vielleicht, wenn das grüne Gras mein Dach.
O Mutter! lieb Mutter, bleib' lange noch hier;
Wer sänge dann tröstlich von Engeln mir?
Wer küßte mir liebend die Augen zu
Zur langen, zur letzten und tiefesten Ruh'?
1 Schubert: "lag ich einstens als Kind darein,"
2 Schubert: "gebrechlich, hilflos"
3 Schubert: "Wo find ich nur"
Zum Text
Das 1823 geschriebene Gedicht wurde 1825 bei Sollinger in Wien veröffentlicht. Es findet sich auf Seite 50ff. des von Leitner selbst herausgegeben Gedichtbandes. Ein Digitalisat der Printausgabe kann online studiert werden.
Leitner und Schubert sind sich nie begegnet, wie Leitner selbst bezeugte.
Heinrich Kreissle von Hellborn schreibt in seinen biografischen Notizen zu Franz Schubert:
Auch der Dichter Gottfried Ritter von Leitner, der um das Jahr 1825 in die Familie eingeführt worden war, gehörte dem auserlesenen Kreise an, von welchem sich diese fortan umgeben sah, und jene von seinen Gedichten, welche Schubert in den Jahren 1827 und 1828 in Musik setzte, waren diesem von Frau Marie Pachler zur Composition empfohlen worden. 4
Allerdings schreibt Leitner selbst am 28. März 1858 an Ferdinand Luib:
Leider kann ich den in Ihrem verehrten Schreiben vom 17. d. M. ausgesprochenen Wünschen nicht in vollem Umfange entsprechen; denn mein Freund Dr. Faust Pachler hat sich in meinen Beziehungen zu Schubert geirrt, indem dieser während meiner zufälligen Abwesenheit von Graz hier auf Besuch war, und ich ihn überhaupt nie persönlich kennen lernte. 5
Und an Heinrich Schubert schreibt er am 24. Dezember 1881:
... Ich erlaube mir, in bezug auf mein Verhältnis zu Franz Schubert einen Irrtum zu berichtigen, der sich in einigen Biographien Ihres berühmten Verwandten eingeschlichen hat, und den Sie auch zu theilen scheinen. Ich habe nämlich leider nicht die Ehre genossen, ihn zu meinen persönlichen Bekannten zählen zu dürfen. Unsere küsntlerischen Beziehungen wurden immer nur durch andere vermittelt. ...
und weiter:
... aber Dr. Pachlers kunstsinnige Gemahlin, Marie Pachler, eine Virtuosin auf dem Pianoforte ... machte Schubert auf die im Sommer 1825 erschienene erste Auflage meiner Gedichte aufmerksam und verehrte ihm ein Exemplar dieses kleinen Bändchens. 6

Leitner 1857