Liedtext
heutige Schreibweise
Wie die Nacht mit heil'gem Beben
Auf der stillen Erde liegt!
Wie sie sanft der Seele Streben,
Üpp'ge Kraft und volles Leben
In den süßen Schlummer wiegt.
Aber mit ewig neuen Schmerzen
Regt sich die Sehnsucht in meiner Brust.
Schlummern auch alle Gefühle im Herzen,
Schweigt in der Seele Qual und Lust: -
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe [wacht spät und früh]1.1.
Leis', wie Äols-Harfentöne
Weh't ein sanfter Hauch mich an,
Hold und freundlich glänzt Selene,
Und in milder geist'ger Schöne
Geht die Nacht die stille Bahn.
[Aber auf kühnen stürmischen Wegen
Führt die Liebe den trunkenen Sinn.
Wie alle Kräfte gewaltig sich regen!]1.2
Ach! und die Ruhe der Brust ist dahin:
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe [wacht spät und früh]1.1.
Tief, im süßen heil'gen Schweigen
Ruht die Welt, und athmet kaum.
Und die schönsten Bilder steigen
Aus des Lebens [bunten]1.3 Reigen,
Und lebendig wird der Traum.
Aber auch in des Traumes Gestalten
Winkt mir die Sehnsucht, die schmerzliche, zu,
Und ohn' Erbarmen, mit tiefen Gewalten
Stört sie das Herz aus der wonnigen Ruh:
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe [wacht spät und früh]1.1.
So entschwebt der Kreis der Horen,
Bis der Tag in Osten graut.
Da erhebt sich, neugeboren,
Aus des Morgens Rosen-Toren,
Glühendhell die Himmels-Braut.
Aber die Sehnsucht [in meinem]1.4 Herzen
Ist mit dem Morgen nur stärker erwacht.
Ewig verjüngen sich meine Schmerzen,
Quälen den Tag, und quälen die Nacht:
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe [wacht spät und früh]1.1.
1.1 Schubert (Neue Gesamtausgabe) "schlummert nie"
1.2 Schubert (Alte Gesamtausgabe):
Aber ein kühnes, stürmisches Leben
Schenket die Liebe dem trunkenen Sinn,
Deutlicher seh' ich dein Bild mir entschweben,
1.3 Schubert (Alte Gesamtausgabe): "buntem"
1.4 Schubert (Alte Gesamtausgabe): "nach dir im"
Zum Text
Theodor Körners Gedicht Sehnsucht der Liebe erschien erstmals 1810 in seinem Gedichtband Knospen.
Weitere Ausgaben seiner Gedichte:
Körner, Theodor, Gedichte Band 1, Wien Bauer, 1815, S.81ff.
Erläuterungen zum Text:
Selene ist eine Mondgöttin aus der griechischen Mythologie -> Wikipedia
Die Horen sind in der griechischen Mythologie die Göttinnen der Zeit -> Wikipedia

Dora Stock
Theodor Körner 1814