Ludwig Rellstab weilte im Frühjahr 1825 in Wien, um Beethoven kennenzulernen. Er legte ihm auch seine Gedichte zur Vertonung vor. 3.1 Sein Ständchen erschien 1827 in: Gedichte von Ludwig Rellstab, Erstes Bändchen bei Friedrich Laue, Berlin, S. 101f.
komponiert:
August 1828
Veröffentlichung (angezeigt):
04. Mai 1829
Originaltonart: d-Moll
Liedform: Strophenlied mit Variation in der 3. Strophe
Besonderheiten:
Rellstab und Schubert sind sich nicht begegnet, aber Rellstab schildert 1861 in seinen Memoiren Aus meinem Leben Band 2 auf S. 245, wie seine Gedichte in Schuberts Hände gelangten: 3.1
Diese Blättchen [die er Beethoven 1825 eigenhändig in dessen Wohnung in Wien brachte - Anm. d. Verf.] sind nicht verloren gegangen; Herr Professor Schindler hat sie mir vor Jahren aus Beethoven's Nachlaß zurück gestellt. Einige waren mit Bleistiftzeichen versehen, von Beethoven's eigener Hand; es waren diejenigen, welche ihm am besten gefielen, und die er damals an Schubert zur Composition gegeben, weil er selbst sich zu unwohl fühlte. In dessen Gesangscompositionen finden sie sich auch, und einige davon sind ganz allgemein bekannt geworden. Mit Rührung empfing ich die Blättchen zurück, die einen so eigenthümlichen, aber der Kunst fruchtbar gewordenen Weg gemacht hatten, bis sie wieder zu mir zurückkehrten.
10 Gedichte von Rellstab hat Schubert vertont. Das Lied Lebensmut D 937 ist ein Fragment geblieben.
Ausführliche Kritik des Schwanengesanges in der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung Jhg. 31 (1829) 3.2
So sehr aber auch diese Winterreise von manchem Andern zu Sch.s vorzüglichsten Gaben gerechnet wird: so können wir doch nicht umhin, den Schwanengesängen des früh Entschlafenen bey Weitem den Vorzug vor jenen einzuräumen; wir finden sie viel liebenswürdiger, gehaltener, erfinfindungsreicher und empfindungsinniger; weiterlesendie hier gewählten Gedichte, die sieben ersten von Rellstab, die sechs folgenden von H. Heine und eins von J. G. Seidel, sind im Ganzen viel musikalischer, oft frischer durch ihren klar und dichterisch ausgesprochenen Inhalt und selbst schöner in ihrer Form, was offenbar den Tonsetzer lebendiger erfüllte, und doch freyer liess, ihn vom blossGesuchten, vom schonungsloss Verwundenden meist erwünscht zurückführte, und ihn dann so dauernd zu beschäftigen wusste, dass er nicht Zeit, nicht Lust fand, sich vom guten Wege des innig Wahren auf irgend einen ungebahnten Nebenpfad hinüber zu winden. So wenig er auch hier gewisse, ihm fast stehend gewordene Melodieen-Wendungen, Gänge und vorhaltende Ausschmückungen, ferner: schwer vorzutragende, in malenden Figuren durchgehaltene Begleitungen und stechende Modulationen aufgibt: so sind doch hier alle diese Eigenheiten meistentheils aus der Natur der Sache weit mehr hervor gegangen, der Empfindung angemessener, so dass wir den Schwan auf den Wogen des Avernus, unter dem Schatten der Hange.. weide ruhend, mit innigerm Antheile rudern sehen, als wir die winterliche Reise mit dem verlassenen Wanderer vollbringen. Und wenn wir uns bey Dingen, welche die neuere Compositionsweise nun einmal keiner Beachtung für würdig hält, nicht verweilen, und uns nicht der Mikrologie bezüchtigen lassen wollen so muss durchaus von diesen beyden letzten Heften gerühmt werden, dass sie auch kein einziges Stück enthalten, das nicht mindestens den wohlgetroffenen und schön bearbeiteten zugezählt werden könnte; ja nicht wenige dieser Gesänge sind unbedenklich unter die Meisterlichsten zu setzen, die je von Sch.s Muse gesungen worden sind. Gleich der Anfang „Liebesbotschaft“ ist sehr anmuthig, und des Bächleins Rauschen murmelt zu dem freundlich sehnenden Gesange in eilig stetiger Bewegung bis an das Ende. „Des Kriegers Ahnung“ spricht sich eigen, aber sinnig, viel wechselnd in Bewegung und Modulation aus. Frühlingssehnsucht“ leidenschaftlich. Nr. 4. „Das Ständchen“ gehört in Dichtung und Musik zu den vortrefflichsten Cantilenen. Die Melodie hat zu den zierlich schmachtenden Worten etwas so lieblich Lockendes, was die einfache und unstät verlangende Begleitung so ansprechend verschönt, dass es zuversichtlich ein Liebling Aller werden wird. Nr. 5. „Aufenthalt“, gleichfalls sehr charaktervoll. Ein unaufhaltsamer Schmerz singt in die Gipfel brausender Bäume und starrender Felsen sein tief ergreifendes Weh. In gleichem, fast noch tieferm Bangen klagt ein belastetes Herz in der Ferne seine Täuschungen und sein Heimweh aus. Fast zuwider ist es uns, hier folgenden Ohren zerreissenden Fortschritt nicht unerwähnt lassen zu dürfen. Könnten solche Unziemlichkeiten, solche trotzig hingestellte Harmonieen-Zerrbilder allem Verstande zum Hohn ihre kecken Schwindler finden, die sie geduldigen Anstaunern alles Unerhörten für Originalitäts-Ueberschuss einschwärzen wollten: so würden wir, im Fall das Grossartige gelänge, bald in den glückseligsten aller Zustände, in den Zustand der Anarchie, wie in den Tagen des Interregnums, versetzt werden. O wie herrlich, wenn Jeder thun dürfte, was ihm im Rausche beliebte, und sein Gewaltsschlag wäre noch sein Ruhm! – Hätte Sch. länger gelebt, von diesem Paroxismus hätte er sich selbst geheilt. „Der Abschied“, Anfang des zweyten Heftes und zugleich das letzte Gedicht von Rellstab, ist so lebendig vom Dichter und Tonsetzer gezeichnet, dass wir ihm besonders viele Freunde versprechen. Der Componist hat, nach seiner Weise, das „mit lustigem Fuss scharrende“ Rösslein zum Gegenstand seiner Begleitungs-Malerey gewählt, und es recht glücklich durchgeführt. Die Begleitung ist nichts weniger, als leicht. Ueberhaupt dürfen wir bey dieser Gelegenheit zu erinnern nicht versäumen, dass Sänger und Spieler sich wohl mit einander einüben mögen, wenn sie sich und Anderen die Freude an diesen Gaben nicht leichtsinnig verderben wollen. Nr. 8. „Der Atlas“. Mit diesem für musikalische Behandlung nicht ausgezeichneten, kurzen Gesange, aus dem der Tonsetzer alles, was möglich war, zu machen wusste, beginnen H. Heine's Gedichte, von denen die übrigen sämmtlich wohl gewählt sind. Sehr einfach und schmerzlich tief ist Nr. 9. „Ihr Bild“. Nr. 1 o. „ Das Fischermädchen“, wird gefallen: aber tiefer, schaurig, wie Wellenschlag in dämmernder Nacht, greift das folgende, „die Stadt“, in die Saiten, und wird in das Innerste der Seele dringen. Eben so empfunden und originell ist der Gesang: „Am Meere.“ Am Fischerhause ruhen die Scheidenden; schwer fallen des Weibes Thränen auf ihre weisse Hand, und seit er die Thränen trank, verzehrt vor. Sehnen sich sein Leib, und vergiftet hat das unglückselge Weib ihn mit ihren Thränen. – Schauder erweckend tritt uns „der Doppelgänger“ an. Höchst bezeichnend ist die Führung der unvollständigen, stets in unklarer Tiefe gehaltenen Akkorde der Begleitung, und der graussig über ihr schwebende Gesang bietet der Deklamation des Sängers höchst Ergreifendes, – Sehr gefällig in melodischer Haltung, und glänzend in schmuckvoller Begleitung, die Sicherheit und ausdauernde Kraft erfordert, ist zum Schlusse „die Taubenpost“. Sie wird zu den Lieblingen gehören, sobald sie vorgetragen wird, wie sie es verlangt. Und so empfehlen wir denn besonders die Schwanengesänge allen Liebhabern tieferer, wenn auch in manchen Nummern nicht immer erquicklicher, Unterhaltungsmusik, aus denen sich ja Jeder wählen kann und wird, was ihm eben zusagt. Wir glauben nach dem Drucke dieser letzten Hefte zu urtheilen, dass die Gesänge auch einzeln verkauft werden. Der Druck ist schön und sehr correct.