Liedtext
heutige Schreibweise
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst,
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
[An]1.1 Eichen dich und Bergeshöhn;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Gluth
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts [Ärmeres]1.2
Unter der Sonn', als euch, Götter!
Ihr [nähret]1.3 kümmerlich
[Von]1.4 Opfersteuern
[Und]1.5 Gebetshauch
Eure Majestät,
[Und]1.6 darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Thoren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte wo aus noch ein,
Kehrt' ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär'
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz, wie mein's,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht Alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blüthenträume reiften?
Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
1.1 Schubert (Neue Gesamtausgabe): "Mit"
1.2 Goethe (1789): "ärmers"
1.3 Schubert: "nährt"
1.4 Schubert (Alte Gesamtausgabe): "Vom"
1.5 Schubert (Neue Gesamtausgabe): "Vom"
1.6 Schubert (Neue Gesamtausgabe): "Ihr"
Zum Text
Goethe war 23 Jahre alt und mitten im Sturm und Drang, als er 1772-74 das vorliegende Gedicht verfasste. Es wurde zum ersten Mal anonym 1785 in Friedrich Heinrich Jacobi's Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn zwischen den Seiten 48 und 49 veröffentlicht. 2.1
In Goethe's Schriften Band 8 bei Georg Joachim Göschen in Leipzig erscheint es auf Seite 207ff. 2.2
Das Gedicht findet sich ebenfalls in Goethe's Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand, Zweyter Band, Stuttgart und Tübingen, in der J.G.Cotta'schen Buchhandlung, 1827, S. 76f. Als Digitalisat ist es bei hathitrust.org abrufbar.
Über die mythologische Gestalt Prometheus kann man sich bei Wikipedia.org informieren. 2.3

Johann Wolfgang von Goethe im 80. Lebensjahr
Joseph Karl Stieler