Komponist: Franz Schubert (1797-1828) Textdichter: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

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Interpreten: Dorota Szczepańska - Sopran / Peter Schöne - Bariton / Clara Hyerim Byun - Piano
Aufnahme: Samstag, 09. Juni 2018 - Hannover

Liedtext

Dom. Amt, Orgel und Gesang. Gretchen unter
vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.
 
Böser Geist
 Wie anders, Gretchen, war dir's,
 Als du noch voll Unschuld
 Hier zum Altar trat'st,
 Aus dem vergriffnen Büchelchen
 Gebete lalltest,
 Halb Kinderspiele,
 Halb Gott im Herzen!
 Gretchen!
 Wo steht dein Kopf?
 In deinem Herzen,
 Welche Missethat?
 Bet'st du für deiner Mutter Seele, die
 Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
 Auf deiner Schwelle wessen Blut?
 - Und unter deinem Herzen
 Regt sich's nicht quillend schon,
 Und [ängstet]1.1 dich und sich
 Mit ahnungsvoller Gegenwart?

Gretchen
 Weh! Weh!
 Wär' ich der Gedanken los,
 Die mir herüber und hinüber gehen
 Wider mich!

Chor
 Dies irae, dies illa
 Solvet saeclum in favilla.

Böser Geist
 Grimm faßt dich!
 Die Posaune tönt!
 Die Gräber beben!
 Und dein Herz,
 Aus Aschenruh'
 Zu Flammenqualen
 Wieder [aufgeschaffen]1.2,
 Bebt auf!

Gretchen
 Wär' ich hier weg!
 Mir ist als ob die Orgel mir
 Den Athem versetzte,
 Gesang mein Herz
 Im Tiefsten lös'te.

Chor
 Judex ergo cum sedebit,
 Quidquid latet adparebit,
 Nil inultum remanebit.

Gretchen
 Mir wird so [eng]1.3!
 Die [Mauern-Pfeiler]1.4
 Befangen mich!
 Das Gewölbe
 Drängt mich! - Luft!

Böser Geist
 Verbirg dich! Sünd' und Schande
 Bleibt nicht verborgen.
 Luft? Licht?
 [Weh]1.5 dir!

Chor
 Quid sum miser tunc dicturus?
 Quem patronum rogaturus?
 Cum vix justus sit securus.

Böser Geist
 Ihr Antlitz wenden
 Verklärte von dir ab.
 Die Hände dir zu reichen,
 [Schauert's]1.6 den Reinen.
 Weh!

Chor
 Quid sum miser tunc dicturus?
[
Gretchen
 Nachbarin! Euer Fläschchen! --
 
Sie fällt in Ohnmacht.]1.7

1.1 Schubert: "ängstigt"
1.2 Schubert (Erste Fassung): "aufgeschreckt"
1.3 Schubert: "bang"
1.4 Schubert: "Mauerpfeiler"
1.5 Schubert: "Wehe"
1.6 Schubert: "Schaudert's"
1.7 Schubert: ersetzt durch "Quem patronum rogaturus?"

Dom.
Amt, Orgel und Gesang.

Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.
 
Böser Geist
 Wie anders, Gretchen, war dir's,
 Als du noch voll Unschuld
 Hier zum Altar trat'st,
 Aus dem vergriffnen Büchelchen
 Gebete lalltest,
 Halb Kinderspiele,
 Halb Gott im Herzen!
 Gretchen!
 Wo steht dein Kopf?
 In deinem Herzen,
 Welche Missethat?
 Bet'st du für deiner Mutter Seele? die
 Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
 Auf deiner Schwelle wessen Blut?
 – Und unter deinem Herzen
 Regt sich's nicht quillend schon,
 Und ängstet dich und sich
 Mit ahndungsvoller Gegenwart?

Gretchen
 Weh! Weh!
 Wär' ich der Gedanken los,
 Die mir herüber und hinüber gehen
 Wider mich!

Chor
 Dies irae, dies illa
 Solvet saeclum in favilla.

Böser Geist
 Grimm faßt dich!
 Die Posaune tönt!
 Die Gräber beben!
 Und dein Herz,
 Aus Aschenruh'
 Zu Flammenqualen
 Wieder aufgeschaffen,
 Bebt auf!

Gretchen
 Wär' ich hier weg!
 Mir ist als ob die Orgel mir
 Den Athem versetzte,
 Gesang mein Herz
 Im Tiefsten lös'te.

Chor
 Judex ergo cum sedebit,
 Quidquid latet adparebit,
 Nil inultum remanebit.

Gretchen
 Mir wird so eng'!
 Die Mauern-Pfeiler
 Befangen mich!
 Das Gewölbe
 Drängt mich! - Luft!

Böser Geist
 Verbirg dich! Sünd' und Schande
 Bleibt' nicht verborgen.
 Luft? Licht?
 Weh dir!

Chor
 Quid sum miser tunc dicturus?
 Quem patronum rogaturus?
 Cum vix justus sit securus.

Böser Geist
 Ihr Antlitz wenden
 Verklärte von dir ab.
 Die Hände dir zu reichen,
 Schauert's den Reinen.
 Weh!

Chor
 Quid sum miser tunc dicturus?

Gretchen
 Nachbarin! Euer Fläschchen! –
 
Sie fällt in Ohnmacht.

Zum Text

Über den von Goethe verfassten Faust. Eine Tragödie kann man sich erschöpfend bei Wikipedia informieren. Er entstand in den Jahren 1770-1788.
Die Erstausgabe stammt aus dem Jahr 1808 und ist in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar als Digitalisat online abrufbar. Die vertonte Szene steht auf den Seiten 252ff.
Die Szene steht bereits im Urfaust, der 1790 zum ersten Mal gedruckt erschien. Ein Digitalisat dieses Erstdrucks findet sich ebenfalls in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar und kann online abgerufen werden. 2.1

Textbild
Gretchen vor dem Spiegel 1827, Georg Friedrich Kersting

Zur Musik

komponiert: 12. Dezember 1814

Veröffentlichung (angezeigt): 22. Dezember 1832

Originaltonart: C-Dur

Liedform: Kantate

Besonderheiten:

Das Verhältnis zwischen Schubert und Goethe war ambivalent. Während Schubert den 48 Jahre älteren Meister verehrte, hat Letzterer ihn kaum beachtet. Obwohl Goethe einige seiner vertonten Gedichte durch eine Sendung Joseph von Spauns erhielt, gelang es Schubert nicht, mit seinen Kompositionen bis zu Goethe durchzudringen. Zu fremd waren den Ohren des alten Meisters der Klassik die neuen Klänge. 3.1
1830, zwei Jahre nach Schuberts Tod, soll Goethe den Erlkönig, gesungen von Wilhelmine Schröder-Devrient gehört haben. Ob ihm tatsächlich die Komposition, oder das junge Mädchen gefallen hat, bleibt dahingestellt. 3.2

Schubert vertonte 62 Texte von Goethe, manche sogar mehrmals. Am Ende liegen uns heute fast 80 Kompositionen vor. Viele davon sind Lieder. Einige für mehrere Stimmen und Instrumente.

Aus Goethes Faust vertonte Schubert folgende Gedichte:

Gretchen am Spinnrade D 118
Szene aus Goethes Faust (Zwei Fassungen) D 126
Der König in Thule D 367
Chor der Engel D 440
Gretchen im Zwinger D 564

Im Manuskript der ersten Fassung der Szene aus Goethes Faust finden sich Hinweise wie, Tromboni, Chor und Orgelton. Daher darf man davon ausgehen, dass Schubert vielleicht eine Übertragung der Komposition auf größere Besetzung geplant hatte.

Schubert war erst 17 Jahr alt, als er dieses Stück schrieb.

Wir konnten bei unserer Aufnahme die Chorstellen chorisch und die Solo-Stellen mit verteilten Rollen aufnehmen.
Ein Dank gilt hier an die Beteiligten Clara Hyerim Byun, Ekatheryna Chayka, Agatha Dembska-Kornaga, Simon Jass, Giorgos Karagiannis, Ana Mazaeva, Josefine Mindus, Emanuel Ratiu, Anna Schaumloeffel, Anastasia Sokolova und Dorota Szczepańska.

Zur Veröffentlichung

Zur Quellenlage (Manuskripte etc.) kann man sich im thematischen Verzeichnis von O.E.Deutsch informieren.

Von der ersten Fassung liegen zwei Mansukripte als Digitalisate online abrufbar vor.
Staatsbibliothek zu Berlin, preussischer Kulturbesitz
Bibliothèque nationale de France, Paris

Die Erstveröffentlichung der zweiten Fassung besorgte A. Diabelli & Co., VN 4268, Wien als Nachlaß- Lieferung 20 4.1

Im Abendroth D 799, von C. Lappe
Scene aus Goethes Faust D 126,
Mignons Gesang D 321 von Goethe.

In Musik gesetzt für eine Singstimme mit Begleitung des Piano-Forte von Franz Schubert.

Deckblatt Nachlass 20

Aus der amtlichen Wiener Zeitung vom 22. Dezember 1832: 4.2

Wiener Zeitung 1832 12 22

Noten

Alte Gesamtausgabe Serie XX, Bd. 01, Nr. 37

Neue Gesamtausgabe IV, Bd. 07

Friedländer Bd. V » 108

Bärenreiter Urtext VI » 15

Erstdruck

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Originalversion des Liedes

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Quelle(n)

2.1  Faustsammlung der HAAB Weimar, Goethe, Johann Wolfgang, Faust : Eine Tragödie / von Goethe, Verlag Cotta, Tübingen 1808, S. 252ff., Signatur: F 703, urn:nbn:de:gbv:32-1-10014878767

3.1 Gülke, Peter: Goethes »Versäumnisse«, in: Blog Klassik Stiftung Weimar, 08. September 2015

3.2 Windmeißer, Renate: Neue Chance für Schubert, in: BR Klassik, Was heute geschah, 24. April 2018

4.1 Österreichische Nationalbibliothek - Digitalisierte Sammlungen, A. Diabelli & Co., VN 4268, Wien, Nachlass-Lieferung 20, 1832 Sig.

4.2 Österreichische Nationalbibliothek - Digitalisierte Sammlungen, ANNO, Digitalisierte Zeitungen und Zeitschriften, Wiener Zeitung, Jhg 1832, Ausgabe vom 22. Dezember, Seite 4

Deutsch, Otto Erich. Franz Schubert: Thematisches Verzeichnis seiner Werke in chronologischer Folge, Bärenreiter 1967, S.89

Noten-Quelle auf imslp.org o.ä.: Szene aus Goethe's Faust - Zweite Fassung.pdf

Textquelle und alternative Kompositionen: www.lieder.net

Geschrieben von: Peter Schöne