Liedtext
heutige Schreibweise
Es ist so [still und]1 heimlich um mich,
Die Sonn' ist unter, der Tag entwich.
Wie schnell nun heran der Abend graut! -
Mir ist es recht, sonst ist mir's zu laut.
Jetzt aber ist's ruhig, es hämmert kein Schmied,
Kein Klempner, das Volk verlief, und ist müd;
Und selbst, daß nicht raßle der Wagen Lauf,
Zog Decken der Schnee durch die Gassen auf.
Wie tut mir so wohl der selige Frieden!
Da sitz' ich im Dunkel, ganz abgeschieden,
So ganz für mich; - nur der Mondenschein
Kommt leise zu mir in's Gemach [herein.
Brauche mich aber nicht zu geniren,
Nicht zu spielen, zu conversiren,
Oder mich sonst attent zu zeigen]2.
Er kennt mich schon, und läßt mich schweigen,
Nimmt nur seine Arbeit, die Spindel, das Gold,
Und spinnet stille, webt und lächelt [hold]3,
Und hängt dann sein schimmerndes Schleiertuch
Ringsum an Gerät und Wänden aus.
Ist gar ein stiller, [lieber]4 Besuch,
Macht mir gar keine Unruh' im Haus'.
Will er bleiben, so hat er Ort,
Freut's ihn nimmer, so geht er fort.
Ich sitze dann stumm im Fenster gern',
Und schaue hinauf in Gewölk' und Stern.
Denke zurück, ach! weit, gar weit,
In eine schöne, [verschwund'ne]5 Zeit.
Denk' an Sie, an das Glück der Minne,
Seufze still', und sinne und sinne. -
1 Schubert: "still, so"
2 ausgelassen von Schubert
3 Schubert: "still"
4 Schubert: "ein lieber"
5 Leitner (Wiener Zeitschrift): "verschwundene"
Zum Text
Das 1823 geschriebene Gedicht wurde 1825 bei Sollinger in Wien veröffentlicht. Es findet sich auf Seite 198ff. des von Leitner selbst herausgegeben Gedichtbandes. Ein Digitalisat der Printausgabe kann online studiert werden.
Zuvor wurde das Gedicht von Leitner bereits in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode am 28. Mai 1825 auf Seite 5 veröffentlicht.
Leitner und Schubert sind sich nie begegnet, wie Leitner selbst bezeugte.
Heinrich Kreissle von Hellborn schreibt in seinen biografischen Notizen zu Franz Schubert:
Auch der Dichter Gottfried Ritter von Leitner, der um das Jahr 1825 in die Familie eingeführt worden war, gehörte dem auserlesenen Kreise an, von welchem sich diese fortan umgeben sah, und jene von seinen Gedichten, welche Schubert in den Jahren 1827 und 1828 in Musik setzte, waren diesem von Frau Marie Pachler zur Composition empfohlen worden. 6
Allerdings schreibt Leitner selbst am 28. März 1858 an Ferdinand Luib:
Leider kann ich den in Ihrem verehrten Schreiben vom 17. d. M. ausgesprochenen Wünschen nicht in vollem Umfange entsprechen; denn mein Freund Dr. Faust Pachler hat sich in meinen Beziehungen zu Schubert geirrt, indem dieser während meiner zufälligen Abwesenheit von Graz hier auf Besuch war, und ich ihn überhaupt nie persönlich kennen lernte. 7
Und an Heinrich Schubert schreibt er am 24. Dezember 1881:
... Ich erlaube mir, in bezug auf mein Verhältnis zu Franz Schubert einen Irrtum zu berichtigen, der sich in einigen Biographien Ihres berühmten Verwandten eingeschlichen hat, und den Sie auch zu theilen scheinen. Ich habe nämlich leider nicht die Ehre genossen, ihn zu meinen persönlichen Bekannten zählen zu dürfen. Unsere küsntlerischen Beziehungen wurden immer nur durch andere vermittelt. ...
und weiter:
... aber Dr. Pachlers kunstsinnige Gemahlin, Marie Pachler, eine Virtuosin auf dem Pianoforte ... machte Schubert auf die im Sommer 1825 erschienene erste Auflage meiner Gedichte aufmerksam und verehrte ihm ein Exemplar dieses kleinen Bändchens. 8

Leitner 1857