Liedtext
heutige Schreibweise
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
"Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?"
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.
Zum Text
Das Gedicht ist laut "Neues Verzeichniß einer Goethe-Bibliothek" von Salomon Hirzel 2.1 bereits 1779 unter dem Titel Das Lied vom Fischer in der Weygandschen Buchhandlung Leipzig erschienen. Man kann diese Veröffentlichung online studieren. Es ist das erste Gedicht im Buch mit dem Titel "Volkslieder nebst untermischten andern Stücken". Es findet sich auf Seite 3ff. 2.2
Insofern scheint eine Entstehungszeit um 1778/79 wahrscheinlich.
Bei Wikipedia findet sich eine eigene Seite zum Gedicht mit Erläuterungen.

Frederic Leighton
Der Fischer und die Meerjungfrau