Liedtext
heutige Schreibweise
Spude dich, Kronos!
Fort den rasselnden Trott!
Bergab gleitet der Weg;
Ekles Schwindeln zögert
Mir vor die Stirne dein Zaudern.
Frisch, holpert es gleich,
Ueber Stock und Steine den Trott
Rasch in's Leben hinein!
Nun schon wieder
Den eratmenden Schritt
Mühsam Berg hinauf.
Auf denn, nicht träge denn,
Strebend und hoffend hinan!
Weit, hoch, herrlich [der Blick
Rings]1.1 ins Leben hinein,
Vom Gebirg' zum Gebirg'
Schwebet der ewige Geist,
Ewigen Lebens ahndevoll.
Seitwärts des Überdachs Schatten
Zieht dich an,
Und ein Frischung verheißender Blick
Auf der Schwelle des Mädchens da.
Labe dich! - Mir auch, Mädchen,
Diesen schäumenden Trank,
Diesen frischen Gesundheitsblick!
Ab denn, rascher hinab!
Sieh, die Sonne sinkt!
Eh' sie sinkt, eh' mich Greisen
Ergreift im Moore Nebelduft,
Entzahnte Kiefer schnattern
Und das schlotternde Gebein.
Trunken vom letzten Strahl
Reiß mich, ein Feuermeer
Mir im schäumenden Aug',
Mich geblendeten Taumelnden
In der Hölle nächtliches Tor.
Töne, Schwager, in's Horn,
Raßle den schallenden Trab,
Daß der Orkus vernehme: wir kommen,
Daß gleich an der [Türe]1.2
Der Wirt uns freundlich empfange.
1.1 Schubert: rings den Blick
1.2 Schubert: Tür
Zum Text
Über die mythologische Figur Kronos kann man sich hier informieren: Kronos. Ob tatsächlich diese Figur im Text gemeint ist, scheint in manchen Passagen fraglich.
Johann Wolfgang von Goethe schrieb sein Gedicht 1774 im Alter von 25 Jahren nach einer Reise in die Schweiz. Als ein Musterbeispiel des Sturm und Drang befreit sich das lyrische Ich darin von allen Fesseln und nimmt das aufgeklärte Leben selbst in die Hand.
1789 erscheint das Gedicht in Goethe's Schriften. Achter Band. Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, S. 198ff. 2.1

Kronos mit der Sichel bewaffnet (1874)