Komponist: Franz Schubert (1797-1828) Textdichter: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

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Interpreten: Peter Schöne - Bariton / Boris Cepeda - Piano
Aufnahme: Mittwoch, 14. Januar 2009 - Berlin

Liedtext

heutige Schreibweise

Über Tal und Fluß getragen,
Ziehet rein der Sonne Wagen.
Ach, sie regt in ihrem Lauf,
So wie deine, meine Schmerzen,
Tief im Herzen,
Immer morgens wieder auf.

Kaum will mir die Nacht noch frommen,
Denn die Träume selber kommen
Nun in trauriger Gestalt,
Und ich fühle dieser Schmerzen,
Still im Herzen
Heimlich bildende Gewalt.

Schon seit manchen schönen Jahren
Seh ich unten Schiffe fahren,
Jedes kommt an seinen Ort;
Aber ach, die steten Schmerzen,
Fest im Herzen,
Schwimmen nicht im Strome fort.

Schön in Kleidern muß ich kommen,
Aus dem Schrank sind sie genommen,
Weil es heute Festtag ist;
Niemand ahnet, daß von Schmerzen
Herz im Herzen
Grimmig mir zerrissen ist.

Heimlich muß ich immer weinen,
Aber freundlich kann ich scheinen
Und sogar gesund und rot;
Wären tödlich diese Schmerzen
Meinem Herzen,
Ach, schon lange wär ich tot.

Zum Text

Die Figur der Mignon stammt aus Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre. Mignon erscheint dort in androgyner Gestalt. Wilhelm ist sich nicht sicher, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelt.
Anders jedoch handelt es sich beim vorliegenden Gedicht, wie Eduard Engel in seinem Werk Goethe, der Mann und das Werk berichtet, um eine reale Begegnung Goethes mit einem jungen, hübschen Mädchen namens Maddalena Riggi, die er auf seiner Italienreise kennenlernte.
Auf den Seiten 275f. kann man Details zu dieser Begegnung nachlesen. Ein Digitalisat des Buches ist online verfügbar.2.1

An Mignon wurde zum ersten Mal im Musen-Almanach für das Jahr 1798, herausgegeben von Schiller, auf S. 179f. veröffentlicht. 2.1
Ebenfalls findet man es in Goethe's Werken, Vollständige Ausgabe letzter Hand, Erster Band, Stuttgart und Tübingen, in der J.G.Cotta'schen Buchhandlung, 1827, S. 92f. Als Digitalisat ist es bei hathitrust.org abrufbar. 2.2

Textbild
Friedrich Wilhelm Schadow - Mignon 1828

Zur Musik

komponiert: 27. Februar 1815

Veröffentlichung (angezeigt): 06. Juni 1825

Originaltonart: g-Moll

Liedform: Strophenlied

Besonderheiten:

Das Verhältnis zwischen Schubert und Goethe war ambivalent. Während Schubert den 47 Jahre älteren Meister verehrte, hat Letzterer ihn kaum beachtet. Obwohl Goethe einige von Schuberts vertonten Gedichte durch eine Sendung Joseph von Spauns erhielt, gelang es dem Jüngeren nicht, mit seinen Kompositionen bis zu Goethe durchzudringen. Zu fremd waren den Ohren des alten Meisters der Klassik die neuen Klänge. 3.1
1830, zwei Jahre nach Schuberts Tod, soll Goethe den Erlkönig, gesungen von Wilhelmine Schröder-Devrient gehört haben. Ob ihm tatsächlich die Komposition, oder das junge Mädchen gefallen hat, bleibt dahingestellt. 3.2

Schubert vertonte 62 Texte von Goethe, manche sogar mehrmals. Am Ende liegen uns heute fast 80 Kompositionen vor. Viele davon sind Lieder. Einige für mehrere Stimmen und Instrumente.

Schubert war 18 Jahre alt, als er dieses Lied schrieb. Er widmete den Erstdruck dieses Liedes dem verehrten Dichter Johann Wolfgang von Goethe.

Schuberts erstes Liederheft für Goethe enthielt An Mignon in der ersten Fassung, daneben folgende Kompositionen:

Jägers Abendlied D 368
Der König in Thule D 367
Meeres Stille D 216
Schäfers Klagelied D 121, erste Fassung
Die Spinnerin D 247
Heidenröslein D 257
Wonne der Wehmut D 260
Wandrers Nachtlied D 224
Erster Verlust D 226
Der Fischer D 225, zweite Fassung
An Mignon D 161, erste Fassung
Geistes Gruß D 142, zweite Fassung
Nähe des Geliebten D 162, zweite Fassung
Gretchen am Spinnrade D 118
Rastlose Liebe D 138, erste Fassung
Erlkönig D 328, zweite Fassung

Zweites Liederheft für Goethe -> Link zu Nachtgesang D 119

Zur Veröffentlichung

Zur Quellenlage (Manuskripte etc.) kann man sich im thematischen Verzeichnis von O.E.Deutsch informieren.

Das Manuskript der zweiten Fassung befindet sich in der Fitzwilliam Library, Cambridge. Es wurde bereits digitalisiert, kann aber leider nicht online recherchiert werden. Den Eintrag im Register finden Sie hier.

Das Manuskript der ersten Fassung befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin - preussischer Kulturbesitz. Das Digitalisat kann online recherchiert werden.

Die Erstveröffentlichung besorgte Ant. Diabelli & Comp. Wien 4.1

An Schwager Kronos. D 369
An Mignon. D 161
Ganymed. D 544

Gedichte von Goethe. In Musik gesetzt für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte und dem Dichter Verehrungsvoll gewidmet von Franz Schubert 19tes Werk. Eigenthum der Verleger. No 1800. (Gesang, Klavier.). Erstdruck

Aus der amtlichen Wiener Zeitung vom 06. Juni 1825 4.2

Noten

Alte Gesamtausgabe Serie XX, Bd. 03, Nr. 116

Link zum Manuskript
schubertmanu

Erstdruck

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Originalversion des Liedes

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Quelle(n)

2.1 Engel, Eduard, Goethe, der Mann und das Werk, Verlag: Concordia Deutsche Verlags-Anstalt, Berlin, 1909, S. 275f.

2.2 Friedrich Schiller, Musen-Almanach für das Jahr 1798, Verlag Cotta, Tübingen u. Weimar, Digitalisierte Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar

2.3 Johann Wolfgang von Goethe's Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand, Verlag, Stuttgart und Tübingen, J.G. Cotta, 1827

3.1 Gülke, Peter: Goethes »Versäumnisse«, in: Blog Klassik Stiftung Weimar, 08. September 2015

3.2 Windmeißer, Renate: Neue Chance für Schubert, in: BR Klassik, Was heute geschah, 24. April 2018

4.1 Österreichische Nationalbibliothek - Digitalisierte Sammlungen, Ant. Diabelli & Comp. Wien, 1825, VN 1800, Erstdruck, Sig. SH.Schubert.86

4.2 Österreichische Nationalbibliothek - ANNO - Digitalisierte, historische Zeitungen und Zeitschriften, Jhg. 1825, Ausgabe vom 6. Juni, S. 4

Deutsch, Otto Erich. Franz Schubert: Thematisches Verzeichnis seiner Werke in chronologischer Folge, Bärenreiter 1967, S.115

Noten-Quelle auf imslp.org o.ä.: An Mignon - Zweite Fassung.pdf

Textquelle und alternative Kompositionen: www.lieder.net

Geschrieben von: Peter Schöne